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Kritik – Janáčeks "Káťa Kabanová" in München Nur die Wolga stillt die Sehnsucht

Ein so poetisches wie melancholisches Porträt einer verträumten jungen Frau, die an ihrer tristen Ehe ebenso verzweifelt wie an der Ödnis der russischen Provinz: Leoš Janáčeks beklemmendes und sehr persönliches Operndrama ist an der Bayerischen Staatsoper vor allem wegen der fulminanten Besetzung sehens- und hörenswert.

Szene aus "Káťa Kabanová" | Bildquelle: G. Schied

Bildquelle: G. Schied

So ähnlich muss sich ein Schmetterling fühlen, der sich in ein Zimmer verflogen hat und partout nicht mehr rausfindet. Káťa Kabanová möchte auch gern Flügel haben, möchte frei herumflattern und abheben aus der engen Welt in der russischen Provinz, in die sie eingeheiratet hat. Ihr Mann ist ein Langweiler und erinnert an Loriots "Ödipussi". Ihre Schwiegermutter ist so tyrannisch wie selbstgerecht und will die ganze Liebe ihres Sohnes für sich allein haben. Davonfliegen kann Káťa leider nicht, wohl aber davonsterben. Also geht sie nach einem romantischen Seitensprung ins Wasser, in die Wolga. Klingt sehr altmodisch, schließlich wurde das Schauspiel "Gewitter" von Alexander Ostrowski 1859 in Moskau uraufgeführt, und auch die darauf beruhende Oper von Leoš Janáček ist schon gut hundert Jahre alt. Aber die menschliche Sehnsucht nach emotionaler Freiheit, nach dem Wegfliegen aus dem grauen Alltag, die dürfte zu allen Zeiten aktuell bleiben.

Die komplette Premiere anhören

BR-KLASSIK hat die Neuinszenierung von Janáčeks "Káťa Kabanová" live aus dem Münchner Nationaltheater übertragen. Hier können Sie den gesamten Mitschnitt vom 17. März anhören.

Tristesse pur

Insofern musste der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski seine "Káťa Kabanová" an der Bayerischen Staatsoper gar nicht sonderlich modernisieren. Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak hatte einen öden Tanzsaal entworfen, dessen Tristesse durch eine Mineralwasser-Bar und ein vor sich hin sprudelndes Aquarium noch verstärkt wird – beides natürlich Sinnbilder für die vorbeifließende Wolga, in der die traurige Geschichte enden wird. Außer einem Spielautomaten und einer Jukebox gibt's keine Unterhaltung. Wer hier Stimmung will, muss selbst singen. Außer der Titelheldin haben sich offenbar alle anderen mit der gähnenden Langeweile abgefunden: Selbst ihr Liebhaber Boris geht zur Strafe anstandslos nach Sibirien anstatt zu rebellieren. Fast alle Übrigen erstarren in Selbstgerechtigkeit und machen weiter wie eh und je – nur die ganz Mutigen flüchten nach Moskau, dem Sehnsuchtsziel aller russischen Dramen.

Schnörkellos und ohne Provokation

Für seine Verhältnisse erzählt Krzysztof Warlikowski die Geschichte schnörkellos und ohne seine sonst übliche Lust an der Provokation. Manches erinnert hier optisch an einen Tanzabend der 2009 verstorbenen berühmten Wuppertaler Choreographin Pina Bausch. Beeindruckend wurde der knapp zweistündige Abend in erster Linie wegen Corinne Winters als Káťa Kabanová. Eine zierliche Sopranistin aus dem US-Bundesstaat Maryland, die als verträumte, lebenslustige junge Frau, verfangen im Netz ihrer Ehe, ungemein authentisch und anrührend ist. Häufig schaut sie dabei direkt in eine Kamera, und die vergrößerten Bilder sind so glaubhaft und intensiv wie in einem gut gemachten Kinofilm. Bezwingend auch Violeta Urmana als ihre dominante Schwiegermutter: eine Diva und Megäre, die den ganz großen Auftritt schätzt und ihren Narzissmus hemmungslos auslebt. Dank dieser Besetzung fasziniert die eigentlich banale Handlung, mit der sich Leoš Janáček seinen privaten Liebeskummer vom Leib geschrieben hat.

Folklore und Natur

Janáček liebte die tschechische Sprache, überhaupt die slawische Kultur, weshalb er sich bei seiner Musik einerseits an der Folklore orientiert, andererseits an den Geräuschen der Natur. Gar nicht einfach, bei all dem den Überblick zu behalten, zumal die Musik psychologisch genau gearbeitet ist, aber den Gesang nie dominieren soll. Dirigent Marc Albrecht machte das mit viel Fingerspitzengefühl, auch, wenn hier und da noch mehr instrumentale Melancholie wünschenswert gewesen wäre, dieses stilprägende Gefühl in der slawischen Literatur. Das Publikum applaudierte sehr freundlich, aber nicht überschwänglich. Diese Art slawische Wehmut drückte manchem wohl zu sehr aufs Gemüt.

Sendung: "Allegro" am 18. März 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 18.März, 08:39 Uhr

Ralf Pauli

Applaus

Am Orchester und den Dirigat wird sehr vage gemäkelt. - Der Applaus für Winters war überwältigend. Das Regieteam hat nur minimale Buhs abbekommen. Die Freude am Geleisteten war durch und durch zu spüren im Saal. Zumindest von meinem Platz im 1. Rang aus.

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