Acht Opern spielen die Bayreuther Festspiele – das ist, zumal in einem Jahr nach einem neuen "Ring", ungewöhnlich viel. Mit der gestrigen Wiederaufnahme von "Tristan und Isolde" ist der Premieren-Reigen komplett. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Karmann
So ungerecht ist die Welt: Der Salzburger Intendant Markus Hinterhäuser wird für seine (in der Tat eindrucksvolle) Auslastung von 92 Prozent im letzten Jahr allseits in den höchsten Tönen gelobt. Bei welcher Zahl die Bayreuther Festspiele letztlich dieses Jahr landen werden, ist noch völlig offen – zumal sie beim Verkauf der "Ring"-Karten aus der Not geboren völlig neue Wege gehen: Die vier Teile der Tetralogie werden erstmals auch im Einzelverkauf angeboten. Aber schon bevor es überhaupt losging, galt es als Alarmsignal, dass nicht Wochen im Voraus alles zu 100 Prozent ausverkauft ist.
Das liegt auch an Effekten, für die Katharina Wagner als künstlerisch Verantwortliche nichts oder nur bedingt etwas kann. Stichwort Corona. Dazu kam die suboptimale Abstimmung mit den einflussreichen Mäzenen, der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth", deren nicht genutzte Kartenkontingente offenbar zu spät in den freien Verkauf gingen. Jetzt, nach den acht Premieren, angeführt von der technologisch hochambitionierten "Parsifal"-Neuinszenierung mit "augmented reality", zeichnet sich allerdings umso deutlicher ab, dass der Nachfrage-Rückgang nicht zuletzt künstlerische Gründe hat. Und für die trägt natürlich die Leiterin die Verantwortung.
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Offenbar hat "Ring"-Regisseur Valentin Schwarz nachgebessert. Aber die szenischen Schwächen bleiben. Auch "Der fliegende Holländer" in der Krimi-Lesart von Dmitri Tschernjakow schwächelt an der Theaterkasse – und inhaltlich-konzeptionell. Eine neu erzählte Geschichte kann das Werk auf eine Weise neu beleuchten, die für die Deutung des ursprünglichen Texts was bringt. Oder eher nicht – selbst wenn sie, wie in diesem Fall, handwerklich recht gut gemacht ist.
Dass das Bayreuth-Publikum keineswegs komplett verstockt traditionalistisch ist, zeigt die erneut begeisterte Reaktion auf die rasante, zugleich witzige und tiefsinnige "Tannhäuser"-Inszenierung von Tobias Kratzer . Auch das Gegenmodell, der fast schüchtern-zurückhaltende, aber in sich stimmige "Tristan" von Regisseur Roland Schwab, der leider schon nach zwei Jahren in der Versenkung landen wird, war sehr schnell ausverkauft. Heißt: Das Publikum reagiert sehr genau auf die krassen Niveau-Unterschiede in der Regie.
No risk, no fun – das bleibt offenbar Katharina Wagners Motto. Valentin Schwarz bekam als weitgehend unbekannter Newcomer die schwierigste Aufgabe, die sie zu vergeben hat. Mit dem "Parsifal" in augmented reality, inszeniert von Jay Scheib, ging Wagner erneut ins Risiko. Beides im Prinzip sympathische Experimente mit künstlerischem Potential (und, nicht zu vergessen: mit erhöhtem Aufmerksamkeitsfaktor). Beide Male mit sehr unbefriedigendem Ergebnis.
Auf der Habenseite steht in diesem Jahr das hohe musikalische Niveau. Auch Treue zahlt sich aus: Catherine Foster, die vor 10 Jahren als Brünnhilde bei den Festspielen ihr Debut gab und damals nicht auf Anhieb rundum überzeugte, hat derzeit einen richtigen Lauf: Diese wunderbare Sängerin, die in diesem und im letzten Jahr zusätzlich die Isolde übernahm, hat enorm an Volumen, Farben und Sicherheit gewonnen. Ein weiterer Fixstern ist der zu Recht umjubelte Georg Zeppenfeld (Gurnemanz, Marke). Und Elina Garanca gab ein fantastisches Hügel-Debut als Kundry. Auch die beiden Newcomer im "mystischen Abgrund" (so der Spitzname des sehr speziellen Bayreuther Orchestergrabens) erweisen sich als zwei Volltreffer: Pablo Heras-Casado, der den "Parsifal" dirigierte, und Nathalie Stutzmann (Tannhäuser) haben das Festspielhaus mit seiner legendär schwierigen Akustik im Sturm erobert. Hier hatte Katharina Wagner eine glückliche Hand. Wenn es auf diesem Niveau weitergeht, sind auch die Thielemann-Phantomschmerzen bald überwunden – die sich nur beim leider etwas unkonzentrierten "Tristan" von Markus Poschner zurückmeldeten.
Noch ist unklar, wie es um die Vertragsverlängerung von Festspiel-Chefin Katharina Wagner steht. | Bildquelle: Enrico Nawrath Im Herbst steht Katharina Wagners Vertrags-Verlängerung an. Dass sie eine Perspektive hat, hat Ministerpräsident Söder ja schon beim Staatsempfang verraten. Allerdings hat der Freistaat eine ganze Liste von Wünschen an die Festspielleitung. Ganz oben sollte zweierlei stehen: Professionalisieren und delegieren! Weg vom "persönlichen Regiment", weg auch vom unfruchtbaren Neben- und Gegeneinander der Gesellschafter, hin zu einem vertrauensvollen Teamwork, bei dem allein die Kompetenz zählt, nicht Freund-Feind-Denken. Wenn der Freistaat seinen Anteil innerhalb der Eigentümer-Struktur erhöht und dafür die Mäzene, die oft auf der Bremse zu stehen scheinen, künftig weniger Einfluss haben, dann könnte darin eine Chance stecken: Weniger Köche in der Küche, mehr Kohärenz. In diesem Sinne kann man Katharina Wagner mit Brünnhilde zurufen: Zu neuen Thaten, theure Heldin!
Sendung: "Leporello" am 4. August 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (6)
Montag, 07.August, 20:54 Uhr
P.S.
Der Fairness halber
Für den musikalischen Niedergang sind K. W. bzw. das künstlerisch verantwortliche Komitee, dessen satzungsgemäßes Gesicht sie ist, nur sehr bedingt verantwortlich zu machen.
Eine durchgängig exzellente Besetzung einer Wagneroper dürfte kein Opernhaus heute stemmen können. Es ist ja auch bezeichnend, dass die großen Stützen Zeppenfeld und Volle alte Recken sind, die in einem Stimmfach zu Hause sind, in der die biologische Alterung nicht so stark zuschlägt wie anderswo (und auch diese haben schon mal kerniger geklungen). Es gibt mMn einen Niedergang der Sangeskunst.
Unverzeihlich - zumal für eine direkte Nachkommin - finde ich es, wie respektlos mit den Werken Wagners in den Inszenierungen umgegangen wird. Parodien der Werke, völlige Umwertungen der Handlungen und Grundaussagen, Verhöhunungen ihres Urhebers haben mMn in Bayreuth keinerlei Berechtigung. Egal ob aus Opportunismus oder zur Verabeitung psychischer Probleme mit ihrem Status als Wagnererbin - das ist übel!
Montag, 07.August, 14:36 Uhr
Franz Gillinger
Soll und haben.
Es ist eher ein soll.....das Regietheaters mit seinen oft lächerlichen Werkverzerrungen kommt immer weniger an, und auch die musikalische Qualität lässt öfters zu wünschen übrig (siehe die vielen Einspringet!). Gibt's noch viele authentischE Wagnerstimmen wie früher? Ohne M. Volle wäre da einiges im Argen.... Habe F. Vogt in einem Konzert als Siegmund gehört ("Winterstürme"). Da glaubte man, das sei für Falsett geschrieben.....
Samstag, 05.August, 13:19 Uhr
Dr. Michael Strobel
Nur eines will ich noch, das Ende!
Erfolglosigkeit ist ein Garant für den Verbleib in einem Spitzenamt. Offenbar ein deutsches Phänomen. Das gilt für Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur gleichermaßen. Natürlich ist nicht alles schlecht in Bayreuth, aber für ein Spitzenfestival reicht das nicht. Da ist noch viel Luft nach oben. Kinder, schafft neues - meinte schon der alte Wagner. Sonst wird in Bayreuth auf Dauer der "Siegried' zum "Siechfried". Und eine Änderung ist anscheinend nur an der Kasse herbeizuführen.
Samstag, 05.August, 12:17 Uhr
TFF
Zwischenbilanz - jetzt? Ernsthaft?
Lieber Bernhard Neuhoff!
Zwischenbilanz? Am 4. August? Nach 10 Tagen Spielzeit. Ernsthaft? Holländer II war ausverkauft, wie auch viele andere Termine. Heute startet der Diskurs bei freiem Eintritt!
Das Publikum feiert die Vorstellungen.
Zwischenbilanz am 4.8.?
In der „Kritiker“-Runde nach der Premiere waren Ihre Wortbeiträge sehr präsent. Durchaus klug, pointiert, unterhaltsam. Etwas Zurückhaltung, fände ich sympathisch und eine Zwischenbilanz, die dem Wort ernsthaft gerecht wird.
Nebenbei: Dass die Stadt Bayreuth die Parkgebühren am Hügel mal eben verdoppelt (und da ist keine Autowäsche bei!) hat, darf gerne Erwähnung finden. Es sagt viel aus, wie wohl gesonnen diese Stadtverwaltung ihre Festspielgäste „begrüßt“ bzgl. Service, Gastfreundlichkeit, leichte Anfahrtswege etc.
Samstag, 05.August, 11:17 Uhr
Herby Neubacher
Bedeutungslosigkeit
Wenn man diese Frau weitermachen lässt wird Bayreuth weiter in der Versenkung der Bedeutungslosigkeit versinken. Es gibt längst selbst in China und Sofia weit besseren Wagner als in Bayreuth.
Freitag, 04.August, 15:02 Uhr
P.S.
Echt jetzt?
"Zu neuen Thaten, theure Heldin!"
Nein, eine "theure Heldin" ist K. W. wahrlich nicht, ich will erst gar nicht sagen, was sie aus meiner Perspektive ist, und ihre "Thaten" waren doch vielfach Missetaten.
Ich fände es traurig, wenn auch in Bayreuth wie ja auch sonst überall keinerlei Konsequenzen aus einem offensichtlichen Niedergang auf so ziemlich allen Ebenen in unserem bedauernswerten Land gezogen werden. Selbst die Fußfallnationaltrainer bleiben mittlerweile nach Misserfolgen im Amt, von der Politik will ich gar nicht anfangen.
Es wäre schön, wenn Bayreuth eine künstlerische Führung bekäme, die Richard Wagner und seine Werke nicht als zu entsorgenden Problemfälle betrachten. Um der Satzung Genüge zu tun, ließe sich doch wohl ein Familienmitglied finden, welche das Gesicht eines solchen Neuanfangs sein könnte. K. hatte ihre Chance.