2020 wird als das „Corona-Jahr“ in die Geschichte eingehen. Traurige Nachrichten gab es aber leider nicht nur in Hinblick auf die Pandemie, sondern auch aus der Musikwelt. BR-KLASSIK ruft die großen Musikerpersönlichkeiten, die in den letzten Monaten von uns gegangen sind, noch einmal in Erinnerung.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
In Giuseppe Verdis "Don Carlo" musste sich, in der Inszenierung von Otto Schenk an der Bayerischen Staatsoper in München, Elisabeth von Valois am Schluss ihrer großen Szene im Kloster von San Giusto auf eine Kirchenbank knien. Und nachdem Mirella Freni ein atemlos lauschendes Haus mit glühender Intensität in eine markerschütternde Weltuntergangsstimmung hineingesungen hatte, kniete sie da und kniete … und der tumultartige Jubel im Publikum ließ minutenlang um eine Fortsetzung der Vorstellung bangen. Unwiederbringliche Opernmomente … Entsagungsvolle, aber ganz ohne Pathos leidende Frauen waren die Stärke der Freni: Mimi, Desdemona, Adriana Lecouvreur, Amelia im "Simone Boccanegra" … und eben Elisabetta, mit der sie sich nicht nur in München für ewig in das Gedächtnis der Opernfreunde eingebrannt hat. Am 9. Februar ist Mirella Freni, kurz vor ihrem 85. Geburtstag, in ihrer Heimatstadt Modena gestorben.
Bildquelle: Multimedia GmbH Presse "Er erzählt mit seiner Musik, was ich als Filmemacher dann nicht erzählen muss" - das soll Regisseur Sergio Leone über Ennio Morricone gesagt haben. Und genau das ist Morricones Geheimnis: nicht nur zuarbeiten, Atmosphäre schaffen und untermalen, sondern die Filmbilder mit Musik auf eine andere Ebene holen. Beim grandiosen Gangster-Epos "Es war einmal in Amerika" ist es die Wehmut über die verronnene und verlorene Zeit, in Giuseppe Tornatores "Cinema Paradiso" die melancholisch grundierte Reminiszenz an eine versunkene Welt. Mit 90 ist Morricone auf Abschiedstour gegangen, Musik geschrieben hat er bis zu seinem Tod ein Jahr später: "Ich komponiere halt so gerne. Das ist das Einzige, was ich kann."
Schon für die ersten Bayreuther Festspiele 1951 hatte Wieland Wagner die gebürtige Grazerin Hertha Töpper als Rheintochter und eine der Walküren verpflichtet. Kurz darauf wurde sie Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper. Dorabella, Brangäne, Fricka, Judith und Carmen – das waren ihre Rollen. Legendär ihr Octavian im "Rosenkavalier" - und ihre Mitwirkung in Karl Richters großen Bachprojekten. In München, wo sie bis zuletzt gelebt hat, ist Hertha Töpper 95-jährig gestorben.
Bildquelle: picture alliance / NurPhoto Mit 86 Jahren ist am 29. März Krzysztof Penderecki gestorben. Seine Weltkarriere hatte er als Student in Krakau mit einem Paukenschlag gestartet: Beim Wettbewerb des sozialistischen Komponistenverbands reichte er anonym drei Werke in verschiedenen Kategorien ein und gewann dreimal den Ersten Preis. Seine Vielseitigkeit hat ihm nicht nur Fans beschert. Dass er als Avantgardist begann und dann zur Tonalität zurückkehrte, empfanden manche als Verrat an der Musik des 20. Jahrhunderts. Penderecki hat sich nie von diesen Vorwürfen beirren und sich auch von niemandem vereinnahmen lassen: "Dass man meine Musik versteht, war auch Vorwurf gegen mich. Aber die Leute haben sie verstanden, weil sie einfach gute Musik ist."
John Cage, György Ligeti und Claude Vivier waren die Helden von Reinbert de Leeuw. Und auch für Erik Satie hat sich der niederländische Dirigent und Pianist stark gemacht. 1974 war er Mitbegründer des Schönberg Ensembles und wurde dessen Chefdirigent. "Wir sind tief berührt", schreibt das Ensemble in einem Nachruf. "Er war kompromisslos mit einem großen Herzen, enthusiastisch und immer auf der Suche nach Sinn. Bis zum allerletzten Konzert am 12. Januar 2020 hat er uns mit dieser bedingungslosen Liebe zur Musik inspiriert." Als Freund, Mentor und Leitstern bezeichnet die Dirigentin und Sopranistin Barbara Hannigan den Niederländer, mit dem sie lange zusammengearbeitet hat. Reinbert de Leeuw, der am 14. Februar gestorben ist, wurde 81 Jahre alt.
Bildquelle: picture-alliance/dpa 85 Neuproduktionen, 14 Uraufführungen und 97 Prozent Auslastung – so eine Bilanz nach 13 Jahren macht Freude: der Engländer Peter Jonas konnte sie für seine Intendanz an der Bayerischen Staatsoper für sich verbuchen. Zu den leidenschaftlich diskutierten und frenetisch umjubelten Höhepunkten seiner Amtszeit im Freistaat gehörten die Opern Georg Friedrich Händels, die Sir Peter in gewagten, musikalisch furios besetzten Inszenierungen auf die Bühne brachte. Gelassenheit und ein sehr trockener Humor waren seine Markenzeichen – beides konnte er im eher konservativen Münchner Musikleben gut brauchen. Ausgeruht hat er sich nie auf seinen Erfolgen, dafür war ihm die Vermittlung von lebendigem Musiktheater zu wichtig: "Theater muss provozieren, Gedanken auslösen und ab und zu etwas unbequem sein." Jahrzehntelang hat Peter Jonas gegen eine Krebserkrankung angekämpft – mit 73 Jahren ist er am 22. April verstorben.
Er hat das Stradivari-Cello von 1673 gespielt, das einst Jacqueline Du Pré gehörte: Lynn Harrell. Gautier Capuçon würdigte seinen amerikanischen Fachkollegen für dessen Fähigkeit, "das Cello wie eine menschliche Stimme zum Singen zu bringen". Und in der Tat war für diesen feinen Menschen, diesen "sanften Riesen", wie es Mischa Maisky formuliert, das Cello weniger ein Instrument als vielmehr ein Organ, mit dem er seinen Seelenregungen Ausdruck verleihen konnte. Am 29. April kam die Meldung von Lynn Harrells Tod mit 76 Jahren.
Bildquelle: picture alliance/dpa/Petr Eret Und schließlich trauern wir um die Jahrhundertgeigerin Ida Haendel, die noch in hohem Alter bei einem musica-viva-Konzert in München zu erleben war. Mit sieben Jahren war sie – als Jüngste – Finalistin im Wienawski-Wettbewerbs und erspielte sich den siebten Platz. Gewonnen haben damals Ginette Neveu und David Oistrach. Ida Haendel hat sich gern an diese erste Herausforderung erinnert: "Mein Vater sagte damals zu mir: 'Weißt du wer in der Jury sitzt? Keiner von denen spielt so gut wie du, du sollst keine Angst haben!' Und das habe ich mein Leben lang behalten." Am 30. Juni ist Ida Haendel gestorben, im Alter von 91 Jahren.
Unter den Verstorbenen des Jahres sind auch der Cembalist Kenneth Gilbert und der Flötenvirtuose Konrad Hünteler, der Dirigent Alexander Vedernikow und – mit erst 44 Jahren – die kanadische Sopranistin Erin Wall, die als Donna Anna und Figaro-Gräfin auch das Publikum an der Bayerischen Staatsoper begeistert hat.
Leon Fleisher | Bildquelle: picture alliance / dpa / Horst Ossinger "Fokale Dystonie" ist eine niederschmetternde Diagnose. Wenn man sie als Pianist erhält, bedeutet das das Karriereende. Nicht beim US-Amerikaner Leon Fleisher. Der Schüler von Artur Schnabel war noch keine vierzig, als sich zwei Finger seiner rechten Hand beim Spiel verkrümmten. Das ehemalige Wunderkind begann zu dirigieren und zu unterrichten – und kämpfte sich mit großer Energie zurück auf die Bühne. Erst mit den einigermaßen zahlreichen Klavierkonzerten für die linke Hand und schließlich, Botox sei Dank, auch wieder mit anderem Repertoire. Seiner Krankheit, die ihn so dramatisch eingeschränkt hatte, konnte er im Nachhinein sogar noch etwas Positives abgewinnen: "Ich kam plötzlich zu der Erkenntnis, dass meine Verbindung zur Musik größer war als nur als zweihändiger Klavierspieler." Leon Fleisher starb am 2. August mit 92 Jahren.
In einem weißen Sarg hat man sie in die Kirche von Saint-Germain-des-Prés getragen, im legendären Pariser Künstlerviertel, dessen Muse sie war: Juliette Gréco. Mit 93 Jahren ist Frankreichs größte Chanson-Diva am 23. September gestorben – diese scheue und unnahbare Kämpferin in Schwarz. Eine herausragende Interpretin. Verletzlich, aber unbeugsam und stark. Provozierend, bissig, sinnlich, erotisch. Unbezähmbar, wie im Untertitel ihrer Autobiografie steht. "Ich gehörte immer nur mir."
Die Musikwelt hat in diesem Jahr auch den Jazzmusiker Wolfgang Dauner und den Komponisten Volker David Kirchner verloren; den quirligsten und rastlosesten aller italienischen Dirigenten, Nello Santi, und den Weltmusiker Manu Dibango. Mit 95 starb der große Sängerdarsteller Franz Mazura und mit 91 der ehemalige langjährige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Hellmut Stern. 92 wurde Altsaxophonist Lee Konitz. Und woran denken Sie beim Kultsong "If I had a hammer"? Richtig, an den US-Amerikaner Trini Lopez. Er starb mit 83.
Sendung: "Allegro" am 14. Januar 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (0)