Der deutsche Tenor Jonas Kaufmann gibt mit Diana Damrau und Helmut Deutsch einen Liederabend in der Isarphilharmonie in München. Auf dem Programm: Mahler und Strauss. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht Kaufmann über die Klangwelten der beiden Komponisten, Emotionen auf der Bühne und Rituale vor einem Auftritt.
Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Music
BR-KLASSIK: Herr Kaufmann, Mahler und Strauss, das sind ja schon zwei sehr eigene Charakterköpfe. Wie passen die beiden denn musikalisch zusammen?
Jonas Kaufmann: Ich glaube, ganz gut. Sie sind ja so weit nicht auseinander, vor allem in ihrer Klangwelt. Beide waren schon sehr früh ziemlich interessant unterwegs, haben Neuland bestritten, könnte man vielleicht sagen, sind aber gleichzeitig natürlich sehr unterschiedlich. Der eine, Richard Strauss, hat auch tragische Momente in seinen Opern und seinen Liedern, hat aber vor allem den Schalk im Nacken, das merkt man wirklich immer wieder bei den lustigen Momenten. Bei Gustav Mahler ist es vielleicht ein bisschen umgekehrt, da klopft man sich jetzt nicht reihenweise auf die Schenkel, aber wenn es dann wirklich tragisch wird, dann zückt jeder das Taschentuch und verdrückt eine Träne. Er hat die Melancholie auf ein Maximum getrieben.
BR-KLASSIK: Der rote Faden dieses Liederabends ist die Liebe. Wie ist das denn gesangstechnisch, wie gehen die beiden Komponisten dieses Überthema an?
Jonas Kaufmann: Es sind auch nur Komponisten, dementsprechend müssen sie mit dem leben, was ihnen die Textdichter vorgegeben haben. Es ist klar, dass da mit allen Bandagen gefochten wird, ob mit der witzigen, mit der schlüpfrigen, mit der eifersüchtigen, ablehnenden Haltung. In jedem Lied ist etwas Neues drin. Und es ist letztlich wie in der Oper auch, es geht eben immer ums Leben und im Leben dreht sich alles – man möchte es nicht glauben – nicht um den Beruf, sondern um die Zwischenmenschlichkeit. Und so eben auch in diesen Liedern.
Im Leben dreht sich alles – man möchte es nicht glauben – nicht um den Beruf, sondern um die Zwischenmenschlichkeit.
BR-KLASSIK: Sie sprechen es an, es ist sehr reizvoll, aber eben auch ein bisschen gefährlich, sich diesem Gefühlsvulkan Liebe hinzugeben und in ihn einzutauchen. Wie geht es Ihnen da beim Singen? Wie viel eigene Gefühle, wie viel eigene Biographie, wie viel eigene Erfahrung fließt da mit rein?
Jonas Kaufmann: Die eigenen Gefühle spielen natürlich eine Rolle und vor allem die Erfahrung. Es ist klar, dass man im Laufe der Jahre und Jahrzehnte die vielen Dinge, die man erlebt hat, auch dazu nutzt als Musiker, sie in seiner Interpretation der Musik mit aufzunehmen. Jeder hat seine eigenen persönlichen Bilder und ja, wenn man so will, "emotionale Eselsbrücken", mit denen man in bestimmte Gefühlsbereiche kommt. Das funktioniert über die Jahre natürlich immer besser.
Tenor Jonas Kaufmann: "Jeder hat seine emotionalen Eselsbrücken, mit denen man in bestimmte Gefühlsbereiche kommt." | Bildquelle: Gregor Hohenberg
Wobei man auch sagen muss, gerade ein Richard Strauss hat teilweise Stücke geschrieben, die stimmlich halsbrecherisch sind, sodass man mitunter kaum Kapazitäten hat, sich auf die Textinterpretation zu konzentrieren. Diana Damrau singt zum Beispiel ein Lied, das heißt "Amor". Und ich garantiere: Am Ende des Liedes haben Sie nicht wirklich verstanden, um was es ging, aber Sie sind schwer beeindruckt, weil da Koloraturen dabei sind wie in einer Zerbinetta-Arie aus Strauss' "Ariadne auf Naxos". Es geht bis zum Hohen D. Das ist ein Kabinettstück. Dann gibt es ganz andere, extrem schlichte und zurückgenommene Lieder, die besonders berühren. Und wo die Texte auch manchmal ein bisschen dunkle Gedanken formulieren, aufgrund der zurückgewiesenen Liebe beispielsweise. Das ist wirklich großartig, wie man in dieses Wechselbad der Gefühle geworfen wird.
BR-KLASSIK: Besteht da keine Gefahr, dass man sich tatsächlich verliert oder abdriftet?
Jonas Kaufmann: Das Schöne ist ja diese Gratwanderung, dass man sich eben nicht darin verliert, dass man aber für das Publikum deutlich hörbar sehr wohl emotional stark involviert ist. Das geht technisch auch nicht bis zur Selbstaufgabe. Man kennt das, wenn man schluchzen muss, weil man so berührt ist, dann hüpft das Zwerchfell ähnlich wie beim Schluckauf und dann kann man nicht mehr singen. Insofern muss man schon maßhalten. Aber wie gesagt, es ist einfach beglückend und es ist auch irgendwo reinigend, wenn man als Publikum diese Gefühle, diese Achterbahn einfach mitmacht, mitlebt, mitfühlt und sich freut, wenn es dann wieder lustig wird, wenn man wieder über eine Episode lachen kann, bevor man dann vielleicht wieder in dunklere Ecken vordringt. Für mich ist das fast wie eine Art Katharsis, also eine seelische Reinigung. Weil man all diese Gefühle vielleicht schon lange nicht mehr so empfunden hat, weil sie vom Alltag verschüttet waren.
BR-KLASSIK: Das ist ein ganz schönes Bild, die Achterbahn - und auch ein gutes Stichwort. Diana Damrau kennen Sie ja schon sehr lange, sind auch privat befreundet und durch dick und dünn gegangen, auch auf der Bühne bei Musiktheaterwerken. Ist das manchmal fast ein Hindernis auf der Bühne, sich so gut zu kennen?
Jonas Kaufmann: Eigentlich nicht. Ich glaube, eine Grundvoraussetzung ist das Urvertrauen in den Partner. Das betrifft sowohl rein musikalische Projekte als auch Bühnenproduktionen. Es kann manchmal sehr schnell gehen, dass man einen Partner kennenlernt und einfach spürt, das funktioniert, der tickt ähnlich. Man kann sich darauf verlassen, dass man bestimmte Dinge tut, ohne den anderen zu verletzen oder ohne selbst sprichwörtlich in die Pfanne gehauen zu werden.
Diana Damrau und Jonas Kaufmann kennen sich sehr lange. Am 1. April gestalten sie gemeinsam in München einen Liederabend zum Thema Liebe. | Bildquelle: Jiyang Chen
Das ist in so einem Liederabend ähnlich, man gibt einfach den Ball weiter und freut sich über den Erfolg des anderen. Und versucht auch nicht, mit irgendwelchen kleinen Haltungen, Gesten oder was auch immer, die Aufmerksamkeit vom anderen wegzulenken. Das wäre ja auch möglich. Es gibt viele Beispiele von großartigen Sängern, die sich auf der Bühne gegenseitig fast zerfleischt haben, weil sie dem anderen den Erfolg nicht gegönnt haben.
Es gibt Streichquartette, die auf Tournee nicht mal mehr im selben Hotel wohnen, sondern sich wirklich nur noch auf der Bühne treffen, weil sie sich nicht mehr aushalten können. Wir reisen gerne alle zusammen, auch mit unserem großartigen Pianisten Helmut Deutsch, und haben immer viel Spaß. Und ich glaube, das ist Teil des Erfolges. Diana und ich kennen uns seit 1997, als wir in einer Produktion der "Zauberflöte" in Würzburg Tamino und Papagena gesungen haben. Das ist wirklich lange her. Ich glaube, da weiß man schon ziemlich viel über den anderen.
BR-KLASSIK: Haben Sie denn ein gemeinsames Ritual vor Auftritten?
Jonas Kaufmann: Nein, eigentlich nicht. Ich meine, wie alle Sänger auch, sagt man sich toi toi toi und spuckt sich über die Schulter. Ansonsten macht jeder sein Ding. Diana singt gerne sehr viel vorher, am Vormittag, vor dem Konzert, auch in der Pause, ist also permanent am Warmhalten der Stimme. Ich singe mich vielleicht ein bisschen ein, aber gehe das meistens ein bisschen ruhiger an. So hat jeder seins. Helmut Deutsch ist bis zur letzten Sekunde damit beschäftigt, Noten zu kleben, weil sie ihm doch anders noch perfekter erscheinen. Jeder geht seinen Privat-Hobbys nach, bevor es auf die Bühne geht. Ein gemeinsames "Wir-stehen-im-Kreis-und-rufen-hep-hep-hep" gibt es nicht.
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Wir wollen keine Zirkusnummer aufführen, sondern ein Publikum beglücken und Gefühle und Emotionen transportieren.
BR-KLASSIK: Wir haben aus Spaß die KI gefragt, ob sie uns etwas über mögliche gemeinsame Rituale von Diana Damrau und Ihnen sagen kann. Da kam zum Beispiel raus, dass Sie vor den Auftritten eine Münze werfen, um auszumachen, wer in den Duetten die höchsten Töne länger aushalten darf. Wäre das etwas?
Jonas Kaufmann: Sehr gut (lacht). Das Schöne, wenn man gemeinsam musiziert, ist ja, dass man auch gemeinsam aufhört. Es geht nicht um Protzerei. Wir wollen keine Zirkusnummer aufführen, sondern ein Publikum beglücken und Gefühle und Emotionen transportieren. Das macht man nicht, indem man sich selbst vor die Sache stellt. Das funktioniert nicht. Aber die Münze könnten wir trotzdem werfen, um zu sehen, wer das erste Bier bekommt.
Sendung: "Allegro" am 31. März 2025 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 30.März, 14:59 Uhr
Hans Jürgen Speicher
Jonas Kaufmann & Diana Damrau
.....sehr informativ ,interessant und gut recherchiert!✓✓✓✓