Der Komponist Kurt Weill wäre am 2. März 125 Jahre alt geworden. In Berlin war er genauso erfolgreich wie am Broadway, beeinflusste Claudio Arrau und Frank Sinatra. Und er heiratete zweimal dieselbe Frau. Kurt Weill war ein stilistisches Chamäleon. Aber eines seiner Werke stellt alle anderen in den Schatten: "Die Dreigroschenoper".
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Es war eine Serie von Pleiten, Streit und Pannen. Die Uraufführung der "Dreigroschenoper" steuerte auf einen Misserfolg zu. Immer wieder geriet Brecht bei den Proben mit den Schauspielern aneinander. Helene Weigel wurde krank, Carola Neher fiel wegen eines Trauerfalls aus. Der Regisseur wiederum kam mit den Songs nicht zurecht, wollte die Musik sogar ganz streichen. Und dann war da noch Operettenstar Harald Paulsen, der auf einem völlig unpassenden Anzug mit blauer Schleife bestand und kurz vor der Premiere nach einem neuen Lied verlangte. In ihrer Not schrieben Brecht und Weill über Nacht die "Moritat von Mackie Messer". Doch als sich dann der Vorhang hob, kam kein Ton aus dem Leierkasten. Und Kurt Weill tobte – man hatte auf dem Besetzungszettel seine Frau Lotte Lenya vergessen ...
Trotzdem wurde die Premiere am 31. August 1928 ein riesiger Erfolg, und bis heute ist die "Dreigroschenoper" ein unverwüstlicher Hit geblieben. Vielleicht gerade wegen solcher kleinen Unzulänglichkeiten. Es ist kein Stück aus einem Guss, dafür werkelten zu viele daran mit, den Titel zum Beispiel steuerte Lion Feuchtwanger bei – aber gerade diese Offenheit ermöglicht es jeder Generation, die "Dreigroschenoper" neu zu entdecken. Ist sie ein sozialkritisches Stück? Eine unterhaltsame Opernparodie? Eine rasante Gangsterstory? Ein Schauspiel mit Musik oder eine Oper für Schauspieler?
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Die Moritat von Mackie Messer (Die Dreigroschenoper), Kurt Weill - Bertolt Brecht (Lotte Lenya)
Kurt Weills Musik zur "Dreigroschenoper" wurde ein Hit: mit hinreißenden Melodien, zündender Rhythmik und Anspielungen auf Schlager und Oper. | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Da gibt es die barocke Vorlage, die "Beggar's Opera" von John Gay und Johann Christoph Pepusch, die Elisabeth Hauptmann ins Deutsche übertrug (und damit achtzig Prozent des Textes verantwortete, auch wenn sie skandalöserweise bis heute selten als Autorin genannt wird). Da gibt es die messerscharfen Pointen, die Bertolt Brecht in einprägsame Verse goss. Vor allem aber gibt es die Musik von Kurt Weill. Schon bei der Premiere war es sein "Kanonensong", ein mitreißender Foxtrott, der beim zunächst skeptischen Berliner Publikum das Eis brach. Auch wenn das Stück bis heute unter der Marke "Brecht" läuft – eigentlich ist Weill der Vater des Welterfolgs. Die hinreißenden Melodien, die zündende Rhythmik, die raffinierte Harmonik, die augenzwinkernden Anspielungen auf Tanzmusik, Schlager und Oper – das alles bringt die Roaring Twenties gekonnt auf den Punkt und ist auf der ganzen Welt unmittelbar verständlich.
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Dass Weill als ein begnadeter Ohrwurmerfinder in die Musikgeschichte eingehen sollte, hätte man bei seinen ersten Werken nicht unbedingt vermutet. Ein sprödes Quodlibet, eine eigenwillige Sinfonie, ein schroffes Violinkonzert – nichts aus seinen Anfangsjahren krallt sich im Gehörgang fest. Am liebsten hätte er, geboren am 2. März 1900 als Sohn eines jüdischen Kantors in Dessau, sogar bei Arnold Schönberg studiert, doch dafür fehlte ihm das Geld. Stattdessen ging er bei Engelbert Humperdinck und Ferruccio Busoni in die Lehre und unterrichtete bald selbst, um sich etwas Geld dazuzuverdienen – unter anderem den später berühmten Pianisten Claudio Arrau. Aber trotz der prägenden Jahre in der Metropole Berlin: Ohne Lüdenscheid wäre Kurt Weill wahrscheinlich nicht zum weltberühmten Erfolgskomponisten geworden.
Ja, Lüdenscheid, tiefste musikalische Provinz. Hier wurde Weill 1920 Kapellmeister. "Cavalleria Rusticana" und "Die Fledermaus" waren die Highlights des Repertoires, die Vorstellungen fanden in einem Hotelsaal statt, und Weill musste nicht nur dirigieren, sondern auch die Noten für das drittklassige Orchester einrichten. Aber hier sammelte er wertvolle Erfahrungen, bekam Bühnenpraxis und erkannte schließlich, "dass das Theater meine eigentliche Domäne werden würde".
In der Theaterwelt braucht es einen gewissen Pragmatismus – diese Erkenntnis hat Kurt Weill aus Lüdenscheid mitgebracht. Und so gelang es ihm zeitlebens auf bewundernswerte Weise, sich an neue Umweltbedingungen flexibel anzupassen. Nie ließ er sich unterkriegen, Krisen begriff er wirklich als Chancen, aus Misserfolgen lernte er, und günstige Gelegenheiten packte er am Schopfe.
Eine dieser Chancen war die Begegnung mit Georg Kaiser. Ein Expressionist, damals Deutschlands erfolgreichster Dramatiker. Er hat dem jungen Weill das Tor zur Oper geöffnet, hat ihm vertraut, hat ihm die Gelegenheit gegeben, sich auf der Bühne auszuprobieren. Weills frühe Opern sind wild und kantig und ruppig, noch ist er auf der Suche nach sich selbst. Aber die rasante Opera buffa "Der Zar lässt sich fotografieren" ist bis heute frisch geblieben und eine Entdeckung wert.
Bertolt Brecht. Er und Kurt Weill lernten sich 1927 kennen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Eine andere Chance war die Begegnung mit Bertolt Brecht. Anfang 1927 hatten sich die beiden kennengelernt, arbeiteten bis 1933 mehr oder weniger eng zusammen und inspirierten sich gegenseitig. Womöglich hat sogar Weill Brecht erst auf sein epochales Konzept des "Epischen Theaters" gebracht, indem er ihn mit Ideen seines Lehrers Busoni vertraut machte. Die Parallelen zwischen Brechts Theater- und Busonis Operntheorie sind jedenfalls frappierend: Schon Busoni propagierte die Desillusionierung des Zuschauers und die "Trennung der Elemente", die dann zu Brechts Markenzeichen wurden.
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Fast ebenso erfolgreich wie die "Dreigroschenoper" wurde ein anderes Stück aus der Werkstatt Brecht-Weill: die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", eine so unterhaltsame wie beklemmende Parabel über kapitalistische Hemmungslosigkeit und die selbstzerstörerischen Kräfte im Menschen, mit grell-scharfen Klängen – und natürlich wieder vielen Ohrwürmern aus Weills Feder. Auch wenn die vielen weiteren Stücke des Dream Teams Brecht-Weill heute im Schatten der beiden Publikumsrenner stehen, sind doch Songs wie "Surabaya-Johnny" oder der "Bilbao-Song" ins Repertoire von so unterschiedlichen Musikern wie Milva, Jacques Loussier oder Blixa Bargeld eingegangen. Und das Schuldrama "Der Jasager" bezeichnete Weill noch Jahre später als seine wichtigste Komposition.
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La Chanson De Bilbao
Der Komponist Kurt Weill und seine Frau Lotte Lenya. | Bildquelle: picture alliance / AP Photo
Lebensentscheidend für Kurt Weill wurde noch eine weitere Begegnung: die mit Karoline Wilhelmine Blamauer, genannt Lotte Lenya. Die Tochter eines Fiakerkutschers und einer Waschfrau und der schüchterne Komponist lernten sich im Haus von Georg Kaiser kennen. "Sie ist eine miserable Hausfrau, aber eine sehr gute Schauspielerin. Sie kann keine Noten lesen, aber wenn sie singt, dann hören die Leute zu wie bei Caruso. Sie hat stets einige Freunde, was sie damit begründet, dass sie sich mit Frauen sehr schlecht verträgt", so Kurt Weill über die Liebe seines Lebens. Weil auch er "einige Freundinnen" hatte, war die Beziehung der beiden stabil wechselhaft. 1926 heirateten sie, 1933 ließen sie sich scheiden, 1937 heirateten sie erneut. Aber selbst in Zeiten von Krise und Trennung blieben "Weillchen" und "Pummilein" einander eng verbunden.
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In Deutschland waren inzwischen finstere Zeiten angebrochen. "Ich halte das, was hier vorgeht, für so krankhaft, dass ich mir nicht denken kann, wie das länger als ein paar Monate dauern soll", schrieb Weill unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung, begriff dann aber sehr schnell, was die NS-Diktatur für ihn als Jude bedeutete. 1933 emigrierte er nach Paris, 1935 nach New York. Doch im Unterschied zu anderen prominenten Flüchtlingen wie Arnold Schönberg oder Hanns Eisler, die in der Fremde nur schwer Fuß fassen konnten, wurde für Weill die Neue Welt tatsächlich zur neuen Heimat. Schon in den 1920ern war ihm Amerika als "äußerst romantisches Land" erschienen, hatte er Hemingway und Dos Pasos verschlungen und Hollywoodfilme bewundert. Als nun vor dem Schiff, das ihn und Lotte Lenya in die USA brachte, die Freiheitsstatue auftauchte, hatten beide "das Gefühl, wir würden nach Hause kommen."
Beim Neuanfang half ihm seine enorme stilistische Wandlungsfähigkeit. Nach den atonalen Werken der Anfangszeit und dem gemeinsam mit Brecht entwickelten Songstil hatte er sich in Paris bereits an französischen Chansons versucht – das traumhafte "Youkali" wurde etwa zur heimlichen Hymne der Résistance. Nun, in den USA, adaptierte er rasch den Stil des amerikanischen Musicals – und wurde zum erfolgreichen Broadway-Komponisten. Dafür arbeitete er mit erfolgreichen Librettisten wie Maxwell Anderson und Ira Gershwin zusammen. Stücke wie "Lady in the Dark", "One Touch of Venus" oder "Lost in the Stars" wurden zu Kassenschlagern.
Auch wenn Aufführungen dieser Musicals heute rar geworden sind – eine Reihe von Titeln daraus sind zu Jazz-Standards geworden und ins Great American Songbook eingegangen. "Speak low", "My ship" oder der "September Song" wurden von Frank Sinatra, Ella Fitzgerald und Billie Holiday gesungen.
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September Song
Kurt Weill, der zuhause konsequent Englisch sprach und 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, war nun auch künstlerisch angekommen. Wenige Monate vor seinem 50. Geburtstag notierte er, er habe jetzt "eine Art Erntezeit nach 25 Jahren schwerer, unermüdlicher Arbeit" erreicht. Ein Herzanfall setzte dem ein jähes und unerwartetes Ende. Am 3. April 1950 starb Kurt Weill in New York.
Sendung: "Musikfeature" am 28. Februar 2025 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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