Risikobereitschaft wurde in diesem Jahr belohnt: In Würzburg, Nürnberg, Regensburg, Passau und Augsburg überzeugten herausragende Produktionen das Publikum und die Kritik, darunter eine ungewöhnliche "Zauberflöte" und ein von Klima-Aktivisten inspiriertes "Wutbürger"-Stück. Peter Jungblut mit einem opernhaften Jahresrückblick.
Bildquelle: © Jesús Vallinas
Erfolg lässt sich nicht erzwingen, schon gar nicht im Theatergeschäft - oder etwa doch? Am Münchner Gärtnerplatztheater dürfen sie sich jedenfalls freuen über den Ansturm auf "Les Misérables", diesem opernhaften Musical, das seit der Premiere im März stets ausverkauft ist. Klar, ein Selbstläufer in einer bildstarken Inszenierung.
Aber noch mehr Freude machten in diesem Jahr die Produktionen, bei denen die Risikofreude der Theater belohnt wurde. Am Staatstheater Nürnberg wagte der dortige Ballettchef Goyo Montero seine erste Operninszenierung, und dann gleich die populärste von allen: Mozarts "Zauberflöte". Das märchenhafte Volksstück als letzter Bilderreigen im Kopf eines sterbenden Komapatienten, das war fesselnd und berührend. Ein großartiger Erfolg auch deshalb, weil es unfassbar schwer geworden ist, die Top Ten im Opernrepertoire von "Aida" bis "Carmen" überhaupt noch irgendwie überraschend zu interpretieren. Es ist ja längst alles dazu gesagt und gezeigt worden. Da braucht es schon besonderen Mut, nach neuen Deutungsebenen zu suchen. Goyo Montero ist es gelungen.
"Jesus Christ Superstar" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Pedro Malinowski/Staatstheater Nürnberg Das Staatstheater Nürnberg hatte weiteren Grund zur Freude: Auch "Jesus Christ Superstar" wurde in der Regie von Musical-Profi Andreas Gergen zu einem Kassenerfolg. Klar, im protestantischen Nürnberg ist Kritik am Papst und der Vatikan-Bürokratie womöglich nicht ganz so brisant wie in anderen bayerischen Gegenden, aber unterhaltsam und absolut zeitgemäß war sie doch: Jesus als Mahatma-Gandhi-Bewunderer in Netzhemd und Pluderhose, der sich mustergültig seiner Regenbogenkleinfamilie widmet, das hatte eine feine Ironie. Andreas Gergen ist überhaupt einer der besten seines Fachs: Er schaffte es im November an der Bayerischen Theaterakademie dank hoch motivierter Mitwirkenden sogar, das eigentlich unerträglich kitschtriefende und wirre "Mozart"-Musical zu retten. Das war Schwerstarbeit, weshalb die Sänger wohl auch Sportklamotten trugen.
In Regensburg hatten sie doppelt Glück mit ihrer Entdeckerfreude. Die Oper "Michael Kohlhaas" von Ruhrgebiets-Komponist Stefan Heucke über den "Urzorn" der Menschheit, heute besser bekannt unter dem Stichwort "Wutbürger", erwies sich als musikalisch konventionell, aber gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb aufwühlend. Heucke selbst ließ sich von der Empörung der als Klimakleber bezeichneten Aktivisten inspirieren - und gerade die dürften neuen Anlass zur Wut haben, wenn erst mal Donald Trump regiert. Auch die Politsatire "Valuschka" des im März verstorbenen ungarischen Komponisten Péter Eötvös erwies sich in Regensburg als hochaktuelles Zeitstück. Widerstand gegen rechtsextreme Diktatoren als Tragikomödie, die ins Irrenhaus führt. Beklemmend, diese musikalische Studie unter der Regie von Intendant Sebastian Ritschel.
"The Rake's Progress" am Staatstheater Augsburg | Bildquelle: Jan-Peter Fuhr Beglückende Opernmomente gab es auch in Augsburg, bei der Moral-Satire "The Rake's Progress" in der Optik von Jahrmarktbuden-Unterhaltung, in Passau bei der feinsinnigen Uraufführung von "April" nach der gleichnamigen Erzählung von Joseph Roth, einem Stück über die ungestillte Sehnsucht der Jugend nach dem ganz starken Erlebnis. In Erinnerung bleiben außerdem Matthew Wilds furiose Tschaikowsky-Deutung "Mazeppa" bei den Sommerfestspielen in Erl über Clan-Kriminalität auf höchster Ebene, sowie die Barockoper "Iphigenie in Aulis" beim Festival Bayreuth Baroque. Auch dort wurde was gewagt, nicht nur mit Nacktauftritten, sondern mit wahrhaftig gelebten Emotionen und einer erschütternden Kriegsanklage.
Am Mainfrankentheater in Würzburg müssen sie mit der sterilen Atmosphäre in der "Blauen Halle" klarkommen, einer Industriehalle mit dem diskreten Charme von Weißblech. Und doch gelang dort mit "Medea" von Luigi Cherubini eine so feministische wie revolutionäre Belcanto-Oper als Psychostudie in der hoch konzentrierten Regie von Agnessa Nefjodov. Insgesamt ein inspirierendes Opernjahr, weil es in jeder Hinsicht überraschte - und das ist ja auch bei der Bescherung das Allerwichtigste.
Sendung: "Allegro" am 18. Dezember 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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