Die Bayreuther Festspiele 2024 gehen zu Ende. Es war eine durchaus erfolgreiche Saison, schreibt Autor Florian Zinnecker in seinem politisch-künstlerischen Bilanzbeitrag. Einige Themen auf dem Grünen Hügel konnten der Musik jedoch mal wieder die Show stehlen. Allen voran die Diskussion um die Festspielleiterin Katharina Wagner.
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Die diesjährigen Festspiele hatten noch gar nicht begonnen, als Kulturstaatsministerin Claudia Roth in einem Zeitungsinterview das Gesprächsthema der Saison setzte. Das Publikum auf dem Grünen Hügel müsse internationaler, diverser und bunter werden, forderte Roth. Deshalb sei zu überlegen, bei den Festspielen auch die Werke anderer Komponisten aufzunehmen, etwa – ausgerechnet – die Oper "Hänsel und Gretel" des Wagner-Epigonen Engelbert Humperdinck. Nach allem, was bekannt ist, war das kein Scherz, und sogleich stürzten sich die Feuilletons in die Debatten-Schlacht, um Bayreuth heldenhaft vor Claudia Roth zu schützen. In der BR-KLASSIK-Community gab es geteilte Meinungen dazu.
Claudia Roth feiert Einzigartigkeit der Bayreuther Festspiele
Der langjährige Leiter des Festspielchors Eberhard Friedrich hat seine Kündigung eingereicht. Die Nachfolge wird Thomas Eitler-de Lint antreten. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Das zweite große Thema der Saison betraf den Festspielchor und dessen Direktor. Aufgrund von Sparmaßnahmen der Festspiele GmbH ist der Chor künftig um etwa ein Drittel kleiner als bisher – für Werke wie "Lohengrin" und die "Meistersinger von Nürnberg", für die das nicht reicht, wird ein Zusatz-Chor aus günstigeren Aushilfen zusammengestellt. Eberhard Friedrich, der den Festspielchor seit fast 25 Jahren leitet, wollte dies nicht mittragen – und reichte zum Ende der Saison seine Kündigung ein. Nur um von Festspielchefin Katharina Wagner zu hören, dass er zwar gern kündigen könne, zur nächsten Saison aber aus Altersgründen ohnehin nicht mehr eingeladen würde, und einen Nachfolger gebe es auch schon. Damit hat Katharina Wagner nicht nur den mutmaßlich letzten Mitarbeiter entlassen, der noch von ihrem Vater Wolfgang Wagner eingestellt worden war. Sie hat auch ein weiteres Mal öffentlich demonstriert, wie auf dem Grünen Hügel Personal- und Machtpolitik betrieben wird: Wer der Chefin widerspricht, fliegt raus, ganz gleich, um wen es sich handelt. So sind den Festspielen schon etliche Abteilungsleiter, ein kaufmännischer Geschäftsführer, Dirigenten und ganze Regieteams abhandengekommen. Und die eilig improvisierten Ersatzlösungen waren für die Festspiele nicht immer das reine Glück.
Dass nach Vollstreckung der Sparmaßnahmen, die neben dem Chor auch das Orchester betreffen, der amtierende kaufmännische Direktor Ulrich Jagels in der Spielzeit-Pressekonferenz freudig erklärte, das vergangene Jahr (nach dem die Einsparungen als existenziell für die Zukunft der Festspiele bezeichnet wurden) sei wirtschaftlich das erfolgreichste in der Festspielgeschichte gewesen: Es ist nicht auszuschließen, dass Eberhard Friedrich das persönlich genommen hat, denn am Tag danach, beim traditionellen Grabsingen im Garten von Haus Wahnfried, sang der Festspielchor unter Friedrichs Leitung zur allgemeinen Überraschung erstmals nichts von Wagner, nur ein knappes Lied von Anton Bruckner.
Für Katharina Wagner selbst war die zurückliegende Saison die erste seit langem, in der sie sich nicht andauernd nach dem Stand ihrer Vertragsverhandlungen fragen lassen musste: Im Mai wurde ihr Engagement als Festspielleiterin bis ins Jahr 2030 verlängert. Von kommendem Jahr an firmiert sie nur noch als künstlerische Leiterin der Festspiele. Um die Geschäftsführung der Festspiele GmbH soll sich ein – noch zu findender – General Manager kümmern, angeblich auf ihren eigenen Wunsch. Es gilt allerdings als ausgemacht, dass sie die Geschicke auf dem Grünen Hügel weiter lenken wird – ein General Manager, von dem sie sich tatsächlich verwalten ließe, dürfte so leicht nicht zu finden sein.
Festspielleiterin der Bayreuther Festspiele Katharina Wagner | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Vogl Wer auch immer es sein wird – in einer nicht unwesentlichen Frage stellt ihn bzw. sie Katharina Wagner schon einmal vor vollendete Tatsachen: Von 2027 an soll der Spielplan der Festspiele eine neue Struktur bekommen. In jeder Saison gibt es dann nicht mehr eine, sondern zwei Neuproduktionen – die aber nach insgesamt zwei Spielzeiten schon wieder abgesetzt und an andere Häuser abgegeben werden. So soll der Spielplan für Stammgäste wie für Erstbesucher attraktiver werden, lautet die Begründung aus dem Festspielhaus. Ein weiterer Grund: Flops fallen so weniger stark ins Gewicht – wie etwa der laufende "Ring" in der Regie von Valentin Schwarz, heuer mit Simone Young am Pult, der trotz schleppender Kartennachfrage (in diesem Jahr waren statt drei nur zwei Zyklen angesetzt) über mehrere Jahre gespielt werden muss. Und erfolgreiche, beim Publikum beliebte Produktionen wie zuletzt der "Tannhäuser" von Tobias Kratzer aus dem Jahr 2019 könnten ausnahmsweise länger im Spielplan bleiben.
Das Video der Eröffnungspremiere, Live-Mitschnitte, Kritiken und Hintergrundberichte finden Sie hier.
Am Rande bemerkt: Anders als der hypothetische "Hänsel und Gretel"-Vorstoß Claudia Roths, der kaum je umgesetzt werden dürfte, wurde dieser tatsächlich beschlossene Plan Katharina Wagners in dieser Saison mit kaum einem Wort je erwähnt, geschweige denn öffentlich diskutiert – obwohl er die Dynamik auf dem Grünen Hügel tatsächlich entscheidend ändern dürfte. Das sagt viel über die Art, wie über Bayreuth gesprochen und geschrieben wird, wenn auch nichts Überraschendes.
BR-KLASSIK-Gastautor und Journalist bei der Wochenzeitung DIE ZEIT Florian Zinnecker | Bildquelle: Maria Feck Hört man sich in den Kreisen der Festspiel-Gesellschafter um, aus welchen Gründen Katharina Wagners Vertrag verlängert wurde, ist häufig derselbe Satz zu hören: Natürlich wegen ihrer Erfolgsbilanz als Intendantin – aber schon auch deshalb, weil sie eben keine beliebige Theaterdirektorin sei, sondern Wagner heiße und die Urenkelin Richard Wagners sei. "Bayreuth und Wagner, das gehört zusammen", erklärte Bayerns Kunstminister Markus Blume vielsagend in der Pressemitteilung. Wer aber als Festspielgast nach Bayreuth fährt, bekommt davon – und von Katharina Wagner selbst – nur wenig mit. Nicht einmal bei der Eröffnungspremiere. Sie habe keine Zeit, sie nehme die Arbeit als Theaterdirektorin eben ernst, heißt es dann entschuldigend, und es ist nur allzu verständlich, dass sie auf die Rollenzuschreibung als Bayreuther Erbmonarchin wenig Lust hat. Allein: Es wäre an ihr, diese Rolle zu prägen. Ein Theater leiten, das könnten auch andere, selbst an diesem exponierten Ort. Und gerade deshalb kann es weder im Interesse der Festspiele noch in ihrem eigenen sein, sich durch Unsichtbarkeit verzichtbar zu machen.
Sendung: "Allegro" am 27. August ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (13)
Samstag, 31.August, 17:41 Uhr
Thomas Bernauer
@Gerd
Ich sehe mich bedauerlicherweise gezwungen, eine persönliche Replik auf Ihre Einwendungen, @Gerd N.N, zu verfassen, und weise diese als beleidigend und falsch zurück.
Freitag, 30.August, 13:55 Uhr
Gerd
@ TFF
"Dünkel und Gerede"
Haha, das sagt ja der Richtige.
" freuen Sie sich, dass eine junge Generation Lust auf Wagner zu hohen Ticketpreisen hat!"
Mit anderen Worten: "Freuen Sie sich, dass eine Generation, die leider im deutschsprachigen Raum nie die Gelegenheit hatte, werkgetraue Inszenierungen kennenzulerenen, und daher eine Geschmacksbildung nur unvollkommen vonstatten gehen konnte, sich zu völlig überzogenen Preise (da Bayreuth -abgesehen vom Aufführungsort mit seiner besonderen Akustik - auch nicht mehr bietet als die großen Häuser, aber viel mehr Geld dafür verlangt), über den Tisch ziehen lässt."
Ob dieses Konzept nachhaltig ist, wird sich zeigen. Ich stelle in den Rezensionen sebst bei den früher eifrigsten Jüngern der sich selbst maßlos überschätzenden Regisseuren gewissen Ermüdungserscheinungen fest.
Gegenwärtig hat K.W. noch ein Eventpublikum, aber wer weiß, 0b nicht andere Events in Zukunft mehr ziehen.
Und Kommerz ist ohnehin nicht alles - "hier gilt's der Kunst".
Freitag, 30.August, 12:31 Uhr
TFF
Dünkel und Gerede
Loyalität ist das A und O. Warum jemand nicht mehr kommt das weiß von uns keiner, denn keiner ist dabei! Es gehören immer Zwei dazu! Der Artikel von Herrn Zinnecker bedient sich dem negativen Getratsche und Pausengeplapper. Am Hügel arbeiten immer noch vor und hinter den Kulissen langjährige Mitarbeiter:innen, der Chorleiter war hier nicht der letzte von W. Wagner eingestellt! Für „Wandel und Wechsel“ gibt es oft vielerlei Gründe, von € bis hin zu privaten Gründen oder leider auch verstorben, denken wir an Herrn Emmerich, Gould, Bota, Wottrich. Bleiben Sie sachlich bei den Fakten, freuen Sie sich, dass eine junge Generation Lust auf Wagner zu hohen Ticketpreisen hat! Es wundert mich stets dass die Leser:innen sich hier so missgünstig, herablassend, respektlos einer Person gegenüber äußern aber meinen Wagners Werke zu verstehen.
Donnerstag, 29.August, 21:17 Uhr
Gerd
@ T.B.
Zur Meinungsfreiheit gehört auch die Diskussionsfreiheit. Deshalb empfinde ich Ihren Kommentar nicht nur als unhöflich, sondern auch als bevormundend und vielleicht sogar als demokratiefeindlich, da ohne Meinungsfreiheit es keine Demokratie geben kann.
Übrigens ist dies kein "Forum", wo Ihre spontane Benimmregel erst recht absurd wäre, sondern eine Kommentarspalte zu einem Artikel. Warum man in einer solchen nur autistisch einen Kommentar abgeben darf, ohne auf andere einzugehen, erschließt sich mir nicht. Natürlich sollten Endlosdiskussionen vermieden werden, aber eine solche kann ich hier nicht finden.
Donnerstag, 29.August, 20:03 Uhr
Trappe
@Bernauer
Akzeptiert, Herr Bernauer.
Donnerstag, 29.August, 16:44 Uhr
Thomas Bernauer
Trappe versus TFF
Tauschen Sie beide bitte Ihre Kontaktdaten aus und diskutieren unter vier Augen. Sinn und Zweck solcher Foren sollte nicht ein Verbalduell in der Öffentlichkeit sein.
Donnerstag, 29.August, 11:58 Uhr
Dr. Frauke Hell
Wagners Führungsstil
Sehr geehrter Herr Zinnecker, besonders interessant ist Ihre Beschreibung zu Wagners Führungsstil. Ich wurde Zeugin, wie Frau es nicht machen darf. Der Chordirektor Friedrich wurde nach 30 Jahren nicht einmal mit einem Blumenstrauss auf der Bühne verabschiedet, nachdem Tannhäuser zu Ende war. So geht Frau nicht mit Spitzenpersonal um. Wenn dieses Verhalten dann auch noch vom deutschen Steuerzahler mit einer 56-prozentigen Gehaltserhöhung auf ca. 184.000€ goutiert wird, fehlt mir das Verständnis. In der Schweiz nicht denkbar. Ebenso Pausengespräch war, dass 5 Chefmaskenbildner nach dem Gespräch mit Wagner wieder abgesagt haben. Nun wird die Abteilung von einer Dame geleitet, die selber keine Ausbildung diesbezüglich hat, dafür einem Beautysalon in Wien vorsteht. Was ist nur aus Bayreuth geworden….Ach ja, auf Facebook rief ein Herr v. Lütgendorff auf, für den Festspielchor vorzusingen. Der Herr war Finalist bei Dieter Bohlens Sendung das „Supertalent“ in 2023………. Dr. Hell
Donnerstag, 29.August, 10:07 Uhr
Trappe
@TFF
Eine eklige Marotte wird uns unterstellt, während sie bedauernswerterweise von "klug durchdachten Inszenierungen" zu sprechen und das aktuelle Sängerensemble zum Weltniveau erklären. Damit gebietet es mir als Bildungsbürger der Anstand, sie zu bemitleiden und Ihnen den Rat mit auf den Weg zu geben:
Si tacuisses, philosophus mansisses.
Mittwoch, 28.August, 16:35 Uhr
TFF
Altgewohntes Geräusch
Ein Sängerensemble von Weltniveau das seit vielen Jahren wiederkehrt ist Fakt.
Klug durchdachte Inszenierungen die neue Perspektiven erschließen, Fakt.
100%ige Auslastung, Fakt.
Budget eingehalten, sogar Gewinn erwirtschaftet, Fakt. Kinder und Jugendangebote, Fakt.
Besagter Dirigent kommt wieder und seine Abwesenheit hat nicht geschadet, im Gegenteil gleich drei hervorragende Dirigentinnen haben bleibende Eindrücke hinterlassen.
Es ist eine ganz eklige Marotte, wie sich das sog. „Bildungsbürgertum“ über die Festspielleiterin äußert und für sich den noblen Anspruch erhebt Etikette, Anstand und Benehmen zu beherrschen. Pfui! Das Gejammer um andere Lösungen darf eingestellt werden. So wie es ist kann es froh weitergehen. Für alle anderen gibt es Schallplatten um in staubiger Erinnerung zu schwelgen.
Mittwoch, 28.August, 14:58 Uhr
Trappe
@TFF
Es ist nun einmal so, dass an Katharina Wagner nichts schön zu reden ist. Man sollte nicht mit diesen oberflächlichen anmutenden anglizistischen Ausdrücken wie "bashing" kommen, sondern es entspricht einer Tatsache, dass diejenigen rausfliegen, die kontroverse Meinungen zu Katharina Wagner haben. Scharf kritisierend heißt im Übrigen bashing. Es gibt gute Gründe dafür. Warum darf man dies Ihrer Ansicht denn nicht?
Fakt ist, dass K. Wagner eben nicht so viel vom Musikalischen und der Regie versteht. Thielemann in Bayreuth zu verlieren, stellt einen nicht zu ersetzenden Verlust musikalisch dar.
Und es war klar, dass Wolfgang Wagner damals verkrampft seine Tochter als Erbin installieren wollte, obwohl Nike Wagner die weitaus begabtere und niveauvollere Person ist. Also ich erkenne hier keinen unseriösen Journalismus.
Mittwoch, 28.August, 08:28 Uhr
TFF
Loyalität
Das Zauberwort heißt Loyalität. Jede Führungskraft und jede Geschäftsinhaberin schätzt loyale Mitarbeiter:innen. Warum wird der Leiterin ständig und immer vorgeworfen was nicht stimmt und niemand, der darüber berichtet, war dabei. Zu viel Gerede und für so ein Format zu viel Tratsch was dem Hörer/ Leser als seriöser Bericht verkauft wird. Der ganze mittlere Abschnitt dieses Berichtes ist schlicht unseriös. Journalismus auch Kulturjournalismus sollte hier einen anderen Stil haben. Und auch das ewige Bashing auf die Festspielleiterin nutzt sich ab und wird allmählich wirklich lächerlich und langweilig.
Dienstag, 27.August, 19:23 Uhr
Asinus
Regietheater
Was war denn so erfolgreich? Das Verändern bis zur Unkenntlichkeit der Wagneropern? Besonders erzürnt hat mich der "Hollânder", wo dann nichts mehr gestimmt hat, die Handlung in unlogische Einzelstücke zerfallen ist. Und musikalisch... Na ja.
Dienstag, 27.August, 15:52 Uhr
rumelrat
Bilanz der Bayreuther Festspiele 2024
Vor nicht allzu langer Zeit bestellte man jährlich Karten und bekam als Nichtprivilegierter ca. alle 10 Jahre eine Zusage für die Festspiele. Diese Zeiten sind vorbei, Katharinas Regie-Flops und auch so mache fragwürdige Sängerbesetzung machen es schon zum Erfolg, wenn keine Plätze mehr leer bleiben. Schade ist auch, dass BR-Klassik nicht mehr alle Werke überträgt (heuer fehlte der Parsifal, letztes Jahr der Tristan). Ich nehme seit Jahrzehnten alle Übertragungen auf und habe nun leider Lücken in meiner Sammlung.