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Der Original Jelly Roll Blues Das erste veröffentlichte Jazzstück

Im Juni und Juli 1924 nahm Jelly Roll Morton seinen "Original Jelly Roll Blues" auf – es wurde als erstes Jazzwerk auf Papier gedruckt.

Zehn neue Briefmarken zum Gedenken an Jazzmusiker wurden am Samstag, dem 16. September 1995, während des Abendkonzerts des Jazzfestivals in Monterey, Kalifornien, von engen Verwandten und anderen enthüllt. Diese Briefmarken ehren, unter anderem Jelly Roll Morton.
(AP Photo/HO/United StatesPostal Service) | Bildquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Anonymous

Bildquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Anonymous

Jelly Roll Morton soll den "Jelly Roll Blues" angeblich schon 1905 geschrieben haben. Damals war er als Pianist in einem Bordell beschäftigt, allerdings hatte man ihn so abgeschirmt, dass der 15-jährige vom dortigen Treiben nur wenig mitbekam.

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Jelly Roll Morton- Jelly Roll Blues  (1924)- (piano solo), Gennett, 5552 | Bildquelle: My Old Jazz (via YouTube)

Jelly Roll Morton- Jelly Roll Blues (1924)- (piano solo), Gennett, 5552

Das erste gedruckte Jazzstück – eine Verbindung von Ragtime und Blues

Erst 1915 wurden die Noten vom "Jelly Roll Blues" verlegt, der als die erste veröffentlichte Jazz-Komposition überhaupt gilt. Die Biographen Howard Reich und William Gaines schreiben zu dieser bahnbrechenden Veröffentlichung:

" 'Jelly Roll Blues' hatte jede Menge 'Breaks', aber auch andere erfrischend neue Techniken: wilde Synkopen, die die meisten Themen bestimmten; ein Tango-ähnliches, 'spanisch angehauchtes' rhythmisches Muster in der linken Hand; und exquisite, lange gehaltene Triller, wie sie Sopranistinnen am Ende von Arien in der französischen Oper singen. Morton packte einen Großteil seiner musikalischen Autobiografie in ein einziges Stück, und zwar auf eine Weise, die für Bordellbesucher, die sich nicht um Ästhetik scheren, leicht zugänglich und angenehm unterhaltsam ist. Mit anderen Worten, es wurde Kunst in einem musikalischen Idiom geschaffen, das vordergründig nur der Unterhaltung diente, und es war Morton, der zu erkennen begann, dass so etwas Revolutionäres in der amerikanischen Volksmusik möglich war."

Noch ein Wort zu den hier erwähnten "Breaks". Im frühen Jazz war es üblich, dass die Band für wenige Takte aussetzte, um einem Musiker eine kurze solistische Einlage zu ermöglichen. Im "Jelly Roll Blues" setzt Morton die Begleitung der linken Hand aus und spielt mit der rechten etwas, was an Breaks erinnert. Dabei stellt sich die Frage, ob er sich da schon an einer musikalischen Praxis orientiert oder eher eine vorwegnimmt. Wie dem auch sei, es klingt, als hätte Morton von Anfang an nicht nur ein Klavier, sondern einen Ensemblesound im Kopf.

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The Jelly Roll Blues | Bildquelle: Paragon Ragtime Orchestra - Topic (via YouTube)

The Jelly Roll Blues

Die Ersteinspielung ohne den Komponisten

In der Tat erschien vom "Jelly Roll Blues" 1915 neben der Klaviersolo-Version auch eine orchestrierte Fassung im Druck. Zu Mortons grundlegenden Errungenschaften gehört die Verbindung von Ragtime und Blues. In dem Ensemble des Paragon Ragtime Orchestra ist die Nähe zum Ragtime deutlich zu hören. Doch die erste Aufnahme ist schon reiner Jazz. Sie stammt von einer populären weißen Band, den Original Memphis Five, die am 22. September 1923 dem Komponisten zuvorkamen.

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THE JELLY ROLL BLUES - Original Memphis Five | Bildquelle: lindyhoppers (via YouTube)

THE JELLY ROLL BLUES - Original Memphis Five

Digitale Wiedergeburt

Das Welte-Mignon-Reproduktionsklavier. | Bildquelle: BR Bildquelle: BR Reproduktionsklaviere waren in jener Zeit so verbreitet wie ein halbes Jahrhundert später Fernseher. Ein automatisches Klavier gab dabei Musik wieder, die auf sogenannten Notenrollen gespeichert war: Löcher und Schlitze auf solch einer Papierrolle konnte ein dafür gebautes Klavier wieder in Töne umsetzen. Klanglich war das viel reizvoller als die Musik auf Schallplatten. Ihre Wiedergaben auf späteren Tonträgern variieren, nicht nur wegen der unterschiedlichen Qualität der Klaviere, sondern auch, weil man selbst das Tempo bestimmen und die Pedale treten musste. Auf manchen CDs klimpern Klavierrollen mechanisch und ohne dynamische Schattierungen auf einem mittelmäßigen Klavier dahin. Im Gegensatz dazu kratzen, knistern und rauschen Klavierplatten aus der frühen Schellackzeit. Bisweilen sind die Stücke auch verkürzt, um die dreiminütige Spielzeit einzuhalten. Von Morton gibt es vom Juni 1924 sowohl Platten als auch Klavierrollen. In den 1990er Jahren wurde der Jazzpionier aus beiden Quellen zu neuem Leben erweckt. Artis Wodehouse ergänzte nämlich die Informationen auf den "Piano Rolls" mit jenen aus den Schallplattenaufnahmen. Das digitale Ergebnis (damals noch auf einer Diskette) trieb in einem Studio ein Yamaha Disklavier an und nie zuvor war Morton besser zu hören. Plötzlich stimmen das Tempo, der Anschlag, die Agogik und die Dynamik und natürlich der Klang. Das Resultat ist beachtlich, aber die Frage, ob wir nun dem Spiel eines Menschen oder dem einer Maschine lauschen, ist schwer zu entscheiden.

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Original Jelly Roll Blues | Bildquelle: Jelly Roll Morton And His Orchestra - Topic (via YouTube)

Original Jelly Roll Blues

Im Zweiten Jahrhundert noch quicklebendig

Auch die nächsten 100 Jahre wird der Unverwüstliche unbeschadet überswingen. Heute klingt der "Jelly Roll Blues" so:

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Jelly Roll Blues | Bildquelle: Buddy Bolden - Topic (via YouTube)

Jelly Roll Blues

Sendung:

30. Mai 2024: Chronik: Eine Chronik des Jazz (43): ”Original Jelly Roll Blues” – Aufnahmen vom Juni 1924. Moderation: Benedikt Schregle. Manuskript und Auswahl: Marcus A. Woelfle

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