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Jelly Roll Morton: Mama’Nita Jellys große Liebe

Im April 1924 nahm Jelly Roll Morton sein Stück "Mama’Nita" auf. Es ist eine Liebeserklärung an Anita Gonzales, die einzige Frau, die er wirklich liebte, und zugleich ein Paradebeispiel für das, was der Jazzpionier als "Spanish tinge" bezeichnete.

Jelly Roll Morton und Anita Gonzales im Buch "Dead Man Blues" von Phil Pastras | Bildquelle: Phil Pastras

Bildquelle: Phil Pastras

Nach vielen Jahren des Wanderlebens durch die Vereinigten Staaten sowie Kanada und Mexiko und sechs Jahren relativer Sesshaftigkeit in Kalifornien, zog Jelly Roll Morton in das damalige Jazzzentrum Chicago, wo er im April und Mai 1924Soloaufnahmen machte, darunter "Mama’Nita".

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Mamanita

Anita Gonzales

Jelly Roll Morton hatte laut eigener Aussage den Jazz an einem Sonntagnachmittag des Jahres 1902 erfunden und schon als junger Mann in den Luxusbordellen des Vergnügungsviertels Storyville seiner Heimatstadt New Orleans musiziert. In den kalifornischen Jahren (1917 bis 1923) war Anita Gonzales die Frau an seiner Seite und begleitete ihn auf seinen Reisen. Die Kreolin hatte er bereits als Jugendlicher kennengelernt. Doch damals hatte sie ihn nicht beachtetet: "Ich habe ihn keine zweimal angeschaut, denn er war kein anständiger Mensch. Er spielte Klavier in einem Bordell!" Sie verlor ihn aus den Augen, als sie 1908 nach Las Vegas zog und eine Laufbahn als Betreiberin von Gaststätten begann. 1917 traf Anita Gonzales wieder auf Morton, den sie zunächst nicht wiedererkannte, und hatte mit ihm eine langjährige stürmische Beziehung. Auch in den gemeinsamen Jahren war sie eine wohlhabende Geschäftsfrau. Ob sie verheiratet waren, lässt sich nicht belegen.

Die Trennung

1923 trennte sich das Paar, und Morton zog allein nach Chicago. Er trauerte seiner größten Liebe zeitlebens nach: "Ich werde nie aufhören, eine so reizende Frau wie Anita zu lieben, und ich weiß, dass es ein schrecklicher Verlust für mich war, sie aufzugeben. Es war ein großer Fehler, aber es ist nun einmal passiert".

Dass er ihr nachtrauerte, zeigt nicht nur "Mama’Nita", in einer anderen Version sogar "Mamamita" buchstabiert, sondern auch "Sweet Aneta Mine" von 1929. Man beachte, dass ihr Name in den Songtiteln immer verschleiert erscheint.

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Sweet Aneta Mine | Bildquelle: Jelly Roll Morton And His Orchestra - Topic (via YouTube)

Sweet Aneta Mine

Mabel, die zweite Frau

Wenige Monate vor seinem Tod 1941 kehrte Jelly Roll Morton überraschend nach Los Angeles zurück und starb in Anitas Armen. In seinem Testament bedachte er sie, nicht aber seine zweite Frau Mabel, die Schwester des Schlagzeugers Jimmy Bertrand. Mabel war eine Tänzerin, mit der er seit 1929 verheiratet gewesen war. Sie inspirierte den Song "Fussy Mabel".

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Jelly Roll Morton and His Red Hot Peppers - Fussy Mabel (1930)

Der Spanish tinge

"Mama‘Nita" ist ein hervorragendes Beispiel für den "Spanish tinge", wie Jelly Roll Morton den für Jazz essentiellen lateinamerikanischen Einschlag nannte:

In einem meiner frühesten Stücke, dem "New Orleans Blues", kann man die spanische Färbung erkennen. In der Tat, wenn man es nicht schafft, spanische Färbungen in seine Stücke einzubringen, wird man nie in der Lage sein, die richtige Würze, wie ich es nenne, für den Jazz zu bekommen.

In einem Tondokument für die Library of Congress erläuterte Morton dem Musikforscher Alan Lomax 1938 den Spanish tinge mit Musikbeispielen, unter anderem an "La Paloma".

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29. The Spanish Tinge/ Improving Spanish Tempos | Bildquelle: Jelly Roll Morton Documentary (via YouTube)

29. The Spanish Tinge/ Improving Spanish Tempos

Anita: Managerin und Muse, doch keine Latina

Für Lomax spielte Morton auch die schönste Version von "Mamanita" ein. Es scheint selbstverständlich, dass er Anita Gonzales mit "Spanish tinge" porträtierte. Aber Anita war keine Latina! Sie war eine recht hellhäutige Afroamerikanerin, die ihre Identität verschleierte, um als vermeintliche Mexikanerin leichter als Geschäftsfrau agieren zu können. Morton benutzte die gleiche, vor den gesellschaftlichen Hintergründen völlig legitime Strategie, um mit Weißen zu musizieren. Anita wurde als Bessie Johnson geboren. Sie war die Schwester der Jazzmusiker Bill und Dink Johnson und unterstützte deren Creole Jazz Band finanziell. Ihr Geschäftssinn verschaffte ihrem Lebensgefährten jahrelang die dringend benötigte finanzielle Stabilität, und sie war der Motor dafür, dass er seine Musik geschäftstüchtiger vermarktete. Anita Gonzales ist eine rätselhafte Gestalt, deren Biografie enorme Lücken aufweist. Auf jeden Fall war sie Mortons Managerin und Muse, deren Wirken im Hintergrund einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Erfolg ihres Mannes hatte.

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Mamanita | Bildquelle: Jelly Roll Morton And His Orchestra - Topic (via YouTube)

Mamanita

Sendung: 18. April 2024: Eine Chronik des Jazz (41): "Mama‘NITA" - Aufnahmen vom April 1924. Moderation: Benedikt Schregle. Manuskript und Auswahl: Marcus A. Woelfle

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