Der "St. Louis Blues" ist ein echter Megahit des Jazz - und unbedingt Teil der musikalischen DNA des Schwarzen Amerika. Vor genau 100 Jahren landete er sogar in den Charts. Und das war nicht das einzige Mal. Marcus A. Woelfle hat sich durch die Geschichte des Songs gegraben.
Bildquelle: Pace & Handy Music Co./Montage: BR
Schon die Einleitung springt einen an, eine Fanfare in Moll über einem Habanera-Rhythmus. Dann wendet sich die Einspielung des "St. Louis Blues" mit dem W.C. Handy Orchestra fröhlich lärmend ins Dur, und das ausgerechnet zur bekannten Textzeile: "I hate to see de evenin' sun go down". Ein effektvoller Widerspruch. Aber gerade das war reizvoll. "Wenn du jemals auf dem Kopfsteinpflaster unten am Fluss in St. Louis schlafen musstest, wirst du die Beschwerde verstehen", kommentierte William Christopher Handy selbst diese Zeile.
Handy, geboren 1873 in Alabama und gestorben 1958 in New York, war Trompeter, Bandleader und einer der bedeutendsten frühen Komponisten des Jazz. Er wusste, wie man Musik einprägsam und effektvoll machte. Mit dem "St. Louis Blues", den er schon 1914 schrieb, ließ er sich von der Tango-Mode inspirieren. Er war gespannt, wie sein Stück wirken würde: "Ich trickste die Tänzer aus, indem ich eine Tango-Einleitung arrangierte, die abrupt in einen tiefgehenden Blues überging. Meine Augen suchten ängstlich den Boden ab, dann sah ich plötzlich Blitze einschlagen. Die Tänzer schienen wie elektrisiert. Etwas in ihnen erwachte plötzlich zum Leben. Ein Instinkt, der so sehr nach Leben verlangte, der seine Arme ausbreiten wollte, um Freude zu verbreiten, packte sie an den Fersen." Und der mit Tango-Rhythmen beginnende "St. Louis Blues" packt noch heute viele Zuhörende.
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W.C Handy Orchestra - St. Louis Blues 1923 (1914)
Die Sendung Eine Chronik des Jazz (26): „St.Louis Blues“ – März 1923 läuft am 2. März ab 23:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Den Erfolg seines Stücks hatte Handy bitter nötig. Den "St. Louis Blues" schrieb er, um die Scharte auszuwetzen, dass er seine Tantiemen für seinen ersten Hit "Memphis Blues" für einen Dumpingpreis verkauft hatte: lumpige 50 Dollar, nach anderen Quellen immerhin 100 Dollar. Er gründete einen Verlag, den ersten für Blues, was ihn zum "Father of the Blues" machte. Damit machte er eine Musik populär, die später zur tragenden Säule von Jazz, Rock, ja eigentlich einem Großteil der Musik des 20. Jahrhunderts wurde.
Handy hat den Blues aber nicht erfunden, sondern seinen armen schwarzen Mitbürgern abgelauscht, zum Beispiel einer Frau in St. Louis, die über die Abwesenheit ihres Mannes verzweifelt war. So entstand jene berühmte Zeile im "St. Louis Blues": "My man's got a heart like a rock cast in the sea" (Mein Mann hat ein Herz wie ein Felsen, der ins Meer geworfen wurde.) Inspirationsquelle war auch die eigene Not, denn Handy dachte beim Komponieren auch an sich selbst
Es ist das Bild, das ich von mir selbst hatte, unrasiert, ohne eine anständige Mahlzeit und ohne ein Hemd unter meinem ausgefransten Mantel.
Vom "St. Louis Blues" existieren etwa 2300 Jazz-Versionen auf Tonträgern und unzählige Cover-Versionen außerhalb des Jazz. Der Pianist Earl Hines spielte ihn als Boogie, der Bandleader Glenn Miller als Marsch, der Pianist Pérez Prado als Mambo. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt.
Von 1914 bis 1953 war das Stück insgesamt 22 Mal in den Charts! Eine Aufnahme des "St. Louis Blues" brachte 1925 die "Kaiserin des Blues" Bessie Smith mit dem jungen Louis Armstrong zusammen, der mit seinem Kornett die Textzeilen instrumental fortspinnt. Es ist auf Höchstniveau die Verwirklichung des im klassischen Jazz so häufigen "Call and Response"-Schemas, das an das Wechselspiel von Prediger und Gemeinde in der Kirche erinnert. Mit dem Harmonium von Fred Langshaw erhält diese Kult-Aufnahme eine fast religiöse Aura, die das Stück wirklich zum SAINT Louis Blues erhebt.
Handy war Sohn eines Pastors. Der Vater duldete die "sündige" Gitarre nicht in seinem Haus und hielt den Sohn an, stattdessen Orgel zu spielen. Blues war für fromme Familien Teufelswerk. Die Ironie der Geschichte des "St. Louis Blues": William Christopher Handy wurde durch diese der Kirchenmusik gar nicht so unähnliche Musik der armen schwarzen Landbevölkerung nicht nur wohlhabend - er verschaffte ihr auch dauerhaften Respekt. Die "Teufelsmusik" wurde nicht zuletzt durch ihn, der selbst ein gläubiger Mann war, zum verehrten afroamerikanischen Idiom.
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Bessie Smith - St. Louis Blues, 1925
Kommentare (1)
Samstag, 04.März, 16:00 Uhr
Beate Schwärzler
St. Louis Blues
War zu müde-schläfrig am Donnerstag.
Aber: D i e s e Geschichte - und die Musik - möchte ich nachhören.
In Verbundenheit...