Von Callas bis Kosky, von Smyth bis Cranko: Autorinnen und Autoren von BR-KLASSIK empfehlen Musikbücher, die Freude machen. Für alle, die musikhistorische Kenntnisse und Hör-Horizonte erweitern möchten! Buchtipps für die Weihnachtszeit.
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"Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft" von Eva Gesine Baur
Eva Gesine Baur schreibt stilistisch makellos, witzig – und sehr lakonisch. Das Kurzportrait von Marias Mann Giovanni Battista Meneghini liest sich so: "Jung war er nicht mehr, schön war er nie gewesen, charismatisch auch nicht." Natürlich kommen sie alle vor: Onassis, die Regisseure Visconti und Pasolini, Klatschkolumnistin Elsa Maxwell. Aber alle organisch eingebunden – in Geschichten, die geistreich unterhalten, berühren, Betroffenheit auslösen.
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Das Buch räumt auch auf mit Mythen: Vom heimlich zur Welt gebrachten Kind oder von der lustvoll gelebten Feindschaft mit der Rivalin Renata Tebaldi. Was bleibt, sind 500 Seiten rasant und gekonnt erzähltes Lebensdrama.
Michael Atzinger
"Ich denke in Tönen". Gespräche mit Nadia Boulanger von Bruno Montsaingeon
Komponistin, Dirigentin, Lehrerin: Nadia Boulanger war eine der wichtigsten Musikerinnen des 20. Jahrhunderts. Bruno Monsaingeon hat nun seine Erinnerungen an Gespräche mit ihr niedergeschrieben. Der Band "Ich denke in Tönen" gibt Einblicke in das Leben und Denken von Nadia Boulanger. Und zeigt auch, wie sehr sie Gefangene war. Eine Gefangene der Konventionen ihrer Zeit.
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Das Buch wirft an einigen Stellen auch Fragen auf: Eine Kompositionslehrerin, die ihre eigenen Stücke für komplett unnütz hält, die das Komponieren schließlich aufgibt, weil sie, wie sie sagt, "wusste, dass ich nie ein Genie sein würde. Man hätte meine Musik vielleicht gespielt, aber Musik, die man spielt, weil sie von einer guten Freundin ist – das interessiert mich nicht." Eine Komponistin, die sich auf den Geniegedanken zurückzieht und Komponieren unterrichtet, gleichzeitg aber sagt, sie könne ein Meisterwerk nicht erkennen. Andere erkennen in ihr durchaus, und das zurecht, eine der wichtigsten Personen der Musikgeschichte. Dieses Buch gibt einen Einblick in ihr Denken und Leben.
Kristin Amme
"Und Vorhang auf, hallo!" Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co. von Barrie Kosky
Bildquelle: © Suhrkamp-Verlag AG "Und Vorhang auf, hallo!" – dieses Motto aus der Muppet-Show hat Barrie Kosky als Titel seines Buches gewählt. Kosky geht immer von seinem persönlichen Standpunkt aus, und das macht das Buch so lesenswert. Schon sein Lebensweg ist abenteuerlich: Von Melbourne über Wien nach Berlin. Dann seine jetzt schon legendäre Intendanz an der dortigen Komischen Oper, wo er mit Paul Abrahams "Ball im Savoy" eine beispiellose Operettenrenaissance gestartet hat. Auch die eigene Homosexualität, die Queerness seiner Inszenierungen sind ein Thema. Gerade die Einblicke in seine sehr persönliche Arbeitsweise sind aufschlussreich – und sehr unterhaltsam. Denn wie durch seine emotional packenden Inszenierungen geistert auch durch die Seiten seiner Memoiren ein Hauch von Muppet Show. Stefan Frey
"Diva. Eine etwas andere Opernverführerin" von Barbara Vinken
Bildquelle: Verlag Klett-Cotta Frauen sterben bekanntlich gerne mal auf der Bühne, meistens mit einer superschönen Arie auf den blassen Lippen. Lucia di Lammermoor, eine Gattenmörderin, findet im Wahnsinn den Tod, Norma geht auf den Scheiterhaufen, Gilda läßt sich erdolchen, Tosca stürzt von der Engelsburg und Mimi hüstelt sich geschmeidig via Schwindsucht ins Jenseits. Diese und einige weitere starke Frauen leuchtet Barbara Vinken in ihrer "Opernverführerin" aus, schaut hinter die Fassade, ob nicht doch mehr in den weiblichen Bühnentoden steckt, als der theatralische Tränendrüseneffekt. Und natürlich wird sie fündig. Sylvia Schreiber
"Das Vorspiel. Begegnungen mit Musik in 15 Variationen" von Carolin Pirich
Bildquelle: Berenberg Carolin Pirich nähert sich dem Phänomen des Musik-Erlebens aus mehreren Perspektiven: Über Musikerinnen und Musiker, über Werke und Situationen. Sie sucht keine theoretische Erklärung für die Wirkung von Musik. Sie nähert sich dem Phänomen über die Praxis. Über Anekdoten. Etwa wie sie selbst ein Konzert auf einer Insel in der Havel in Berlin-Reinickendorf organisierte, noch während der Corona-Beschränkungen. Ein Flügel, der auf einem Boot über das Wasser geschafft werden muss. Hürden, die gegangen werden müssen, damit Musik entsteht. Und: Carolin Pirich schreibt klar. Reportagig. Journalistisch. Es geht hier nicht um eine kunstvolle Sprache, sondern um eine direkte. Die Texte, die zum Teil auch schon einzeln in verschiedenen Medien erschienen sind, wollen nur eines: Leserinnen und Leser möglichst ohne Umschweife mit in die Situation hineinnehmen. Rita Argauer
David Geringas: "Sag das niemandem. Lebenerinnerungen eines Cellisten." Aufgeschrieben von Jan Brachmann
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Ein Buch über einen Cellisten ohne Musik ist wie ein Formel-1-Rennen ohne Ferrari. Geht, aber ist fad. Ausnahmen bestätigen die Regel. "Sag das niemandem" ist so eine Ausnahme. FAZ-Feuilletonredakteur Jan Brachmann und der Cellist David Geringas kennen sich bereits über 20 Jahre.
Ein gemeinsames Buch schwebte ihnen schon länger vor. Die beiden haben viele Stunden gesprochen – über Boccherini-Konzerte und Musikpreise, über Pädagogen und litauische Musik.
Was dabei herauskam, ist nun herausgekommen unter eben diesem Titel: "Sag das niemandem."
"Maria Callas, Kunst und Mythos" von Arnold Jacobshagen
Bildquelle: Reclam Zu Maria Callas ist jüngst schon einiges erschienen, schließlich würde sie dieses Jahr 100 Jahre alt. Wozu also noch eine weitere Biografie? Ganz einfach: Weil der "Mythos Callas" unbedingt ein bisschen Nüchternheit verträgt. Und die hält Arnold Jacobshagen in seiner Darstellung konsequent durch. Jacobshagens Callas-Biographie ist trotz dieser Nüchternheit eine interessante und gelungene Annäherung an das Stimm- und Bühnenphänomen Maria Callas – die das Potential hat, die große Sängerin auch für unsere Zeit wieder greifbarer zu machen, weil er sie als eine starke Frau schildert, die wusste, was sie konnte und wollte und das in ihrer Kunst und zum Teil auch in ihrem Privatleben erreichte. Robert Jungwirth
Ethel Smyth: "Paukenschläge aus dem Paradies". Erinnerungen
Bildquelle: ebersbach & simon Brahms, Grieg, Tschaikowsky: Ethel Smyth kannte sie alle, stritt mit ihnen und ließ sich von ihnen inspirieren. Als Komponistin in einer Männergesellschaft. Wie sie diesen Austausch erlebt hat, beschreibt sie in ihren Memoiren, die unter dem Titel "Paukenschläge aus dem Paradies" erschienen sind. Den alltäglichen Kampf um die Wahrnehmung der Frau beschreibt Ethel Smyth in ihren Erinnerungen immer wieder. Aber auch ihre tiefe Bewunderung und Leidenschaft für Frauen, meist ältere Frauen, beschreibt Ethel Smyth ganz einfühlsam und ehrlich. Und gleichzeitig macht ihre freche und durchsetzungsstarke Art einfach Spaß: Endlich ein Stück Musikgeschichte aus anderem Blickwinkel! Svenja Wieser
"John Cranko – Tanzvisionär". Herausgegeben vom Stuttgarter Ballett
Bildquelle: Henschel Dieses Buch über John Cranko ist nicht nur was für Ballettfans, für Neugierige, die das Wunder "Stuttgarter Ballett" und dessen Mutation vom hässlichen Entlein zur Schwanenprinzessin verstehen möchten. Es ist auch ein Buch über einen Typen, für den in unsere heutigen woken Zeit kein Platz mehr ist: Weil er für die erste durchzechte Nacht in einer Schwulenbar, für den ersten Tobsuchtsanfall im Trainingssaal, für einen rosa Anzug beim Staatsempfang, für manchen choreographischen Einfall in Shakespeares "Widerspenstigen Zähmung" seinen Job im Staatsdienst für immer los wäre. Das Buch ist ein Zeitdokument über eine wilde, kreative, anarchistische und liebevolle Phase deutscher Kulturgeschichte. Sylvia Schreiber
"Die Oper – Eine Zeitreise in opulenten Bildern" von Alan Riding und Leslie Dunton-Downer
Bildquelle: DK Verlag Dorling Kindersley In acht Kapiteln robbt sich dieses Nachschlagewerk durch die Welt der Oper. Und, wie es im Untertitel heißt: "in opulenten Bildern". Zu ergänzen wäre: Auch mit winzigen Bildern. Zum Beispiel mit einem kleinen Schwarzweiß-Foto "Massenandrang vor einer "La Traviata"-Aufführung in New York 1961". Bei dem Gedrängel könnte man meinen, das Bild wäre vor einem Rolling-Stones-Konzert entstanden und nicht vor der Metropolitan Opera. Und irgendwie bringt das Bild auf den Punkt, worum es in diesem Buch geht: Nämlich zu zeigen, wie faszinierend die Welt der Oper ist, wie fantasievoll und wie herrlich verrückt. Sylvia Schreiber
Kommentare (1)
Mittwoch, 13.Dezember, 14:55 Uhr
Beate Schwärzler
Büüücher über Musik.
Danke für diese unterhaltsam dargebotenen Anregungen.
Und Danke für die Erinnerung an John Cranko,
Von dem man sogar sprach in einem kleinen bürgerlichen Städtchen im Allgäu.
Zu s e i n e r Zeit.
In meinen jungen Jahren.