Unerwartetes und Unerhörtes gab es heuer bei den Salzburger Festspielen. Die Qualität der Opernproduktionen – darunter Weinbergs "Der Idiot" und "Hoffmanns Erzählungen" von Offenbach – fiel dabei nach Ansicht unseres BR-KLASSIK-Kritikers höchst unterschiedlich aus. Eine Rückschau.
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Der zuletzt arg ausgebrannt wirkende Regisseur Krzysztof Warlikowski ließ bei Mieczysław Weinbergs Oper "Der Idiot" (nach Dostojewskis Roman) alle bekannten Mätzchen und einschlägigen Ideen – herumlümmelnde, gerne genderfluide Figuren, unklares Nebeneinanderstellen mehrerer Ebenen etc. – weg und konzentrierte sich ganz auf den Inhalt. Fürst Myschkin, wunderbar verletzlich interpretiert von Bogdan Volkov, zeigt Warlikowski als eine Art Gottesnarr, der unglücklich verliebt ist, aber ebenso unglücklich geliebt wird. Eindringlich und eindrücklich erlebt man szenisch die privaten, aber auch gesellschaftlichen Krisen der Figuren hautnah mit, die riesige Felsenreitschule ist erstaunlicherweise idealer Aufführungsort, auch für die intimeren Szenen. Ein Coup war Mirga Gražinyte-Tylả am Pult der emphatisch spielenden Wiener Philharmoniker, meisterhaft erklang Weinbergs mal sehr filigran ausgestaltete, mal Schostakowitsch-haft donnernde Partitur. Ein Ereignis!
Mieczysław Weinbergs Oper "Der Idiot" bei den Salzburger Festspielen 2024
Szene aus "Der Spieler" bei den Salzburger Festspielen 2024 | Bildquelle: © SF/Ruth Walz Auch die zweite szenische Neuproduktion wurde musikalisch zum Triumph. Sergej Prokofjews "Der Spieler" ist mit Sicherheit nicht sein stärkstes Stück, manchmal mäandert die Musik so vor sich hin, doch an den Kernmomenten – da stehen sich Liebe und Spiel(sucht) im Wege – geht einem Prokofjews gewitterhaft glühende Musik unter die Haut. Wofür vor allem Timur Zangiev und die Wiener Philharmoniker sorgen. Zangiev ist zweifellos die Entdeckung dieses Festspielsommers. Dass auf der Bühne noch Asmik Grigorian und der tolle Tenor Sean Panikkar standen und wundervoll sangen, machte die Sache nicht schlechter... Wobei das Wort "standen" zur Regie von Peter Sellars passt. Dem verdienten alten Haudegen mit jahrzehntelangem Salzburg-Bezug fiel nicht viel ein, außer große, UFO-ähnliche Roulettetische vom Bühnenhimmel herabschweben zu lassen (George Tsypin war dafür verantwortlich), und ansonsten viel auf Rampe und häufige Lichtwechsel zu setzen. Eine Prise Protest à la Letzte Generation gab es auch, insgesamt bleibt der Eindruck eines soliden szenischen Durchwurschtelns. Schade!
Sergej Prokofjews "Der Spieler" bei den Salzburger Festspielen 2024
Die letzte Premiere hingegen ist mit dem Begriff "Schande" korrekt beschrieben. Wobei völlig unklar bleibt, wie "Hoffmanns Erzählungen" in der Sicht von Mariame Clément und ihrer Ausstatterin Julia Hansen überhaupt (so) zustande kommen konnte. Offenbar haben Intendanz wie Dramaturgie geschlafen oder waren im Urlaub.
Die Grundidee: der von allerlei Idiosynkrasien und Wahnvorstellungen, aber auch Liebessehnsüchten befallene Dichter dreht einen Film. Seinen Film. Vielleicht. Über sein Leben. Könnte sein. Oder er spielt mit. Möglicherweise. Jacques Offenbachs wilder Ritt durch Zeiten und Fantasiewelten gerät hier zu einem einzigartigen Debakel. Die Figuren sind teils schlecht beleuchtet im (N)Irgendwo, es ist komplett unklar, wo die Erzählperspektive liegt. Man sieht explodierende Brüste (nein, ist weder witzig noch erotisch), einen plötzlich auftauchenden Thomas Gottschalk-Verschnitt und und und. In all dem Gewusel herrscht indes rasender Stillstand.
Was man in der Festspielführungsetage auch hätte wissen können, nein, müssen: Marc Minkowski ist absoluter Offenbach-Spezialist. Und die absolut falsche Wahl für die Wiener Philharmoniker. Man mag sich nicht – und dies ist dem (mit Pausen) über vierstündigen Abend fast konstant zu hören. Es klappert und wackelt, knirscht und reibt sich. Minkowski ist ein Dirigent, der eine recht subjektive, grobe Schlagtechnik hat und das kann bei seinem eigenen Orchester oft zu tollen Ergebnissen führen. Aber nicht bei einem Klangkörper wie den Wienern, die zwar alles können, aber oft mal nicht wollen. Offenbach fährt hier wirklich zur Hölle!
"Les Contes d'Hoffmann" von Jacques Offenbach bei den Salzburger Festspielen 2024
Kathryn Lewek (Giulietta/Stella), Benjamin Bernheim (Hoffmann) in "Hoffmanns Erzählungen", Salzburger Festspiele 2024 | Bildquelle: © SF/Monika Rittershaus Da hilft auch wenig, dass Benjamin Bernheim in der Titelpartie sich redlich bemüht, als Filmregisseur ständig Einsätze zu geben, er singt zwar wunderbar, doch man sieht entweder ein hyperaktives Jüngelchen, oder er ist auf der Wusel-Bühne überhaupt nicht erkennbar. Die amerikanische Sopranistin Kathryn Lewek arbeitet sich durch gleich vier Frauen-Partien, mit überwiegend großem Erfolg und prima Koloraturen. Ihr Landsmann Christian Van Horn singt die Bösewichte und irrlichternden männlichen Figuren, auch er wirkt in dem szenischen Debakel leider verschenkt.
Was diesen Sommer ein absoluter Hit war: das üppige Konzertprogramm. Der bald als Intendant der Münchner Philharmoniker von der Salzach an die Isar wechselnde Konzertchef Florian Wiegand bewies einmal mehr, wie man klug, anspruchsvoll und auch kulinarisch programmiert. Mit Intendant Markus Hinterhäuser zündete er ein wahres Feuerwerk. Das begann schon mit einer überragenden "Matthäus-Passion" unter Teodor Currentzis Mitte Juli (mit seinem Utopia-Orchester und -Chor).
Alles über die diesjährigen Salzburger Festspiele, die Radioübertragungen bei BR-KLASSIK sowie Videostreams finden Sie im Salzburg-Dossier.
Die Reihe "Zeit mit Schönberg" spannte den Bogen von eher sperrigen Stücken über die spätromantischen Werke bis zu Zeitgenossen und Gegenspielern des Neue-Musik-Pioniers. Hinterhäuser spielte als Pianist auch selbst mit, begleitete toll den brillanten Bariton Georg Nigl bei Schönbergs "Buch der hängenden Gärten". Nigl war fast eine Art Residenzkünstler, dem man in unterschiedlichsten Partien und Formaten begegnete.
Unschlagbar die letztes Jahr begonnene Reihe "Kleine Nachtmusiken" auf der Edmundsburg, bei der eine einzigartige Mischung aus Gesang (Nigl), Rezitation (der fantastische August Diehl) und Clavichord-Klängen geboten wurde. Ein Abend war Bach gewidmet, einer Schubert und einer Mozart. Alexander Gergelyfi spielte auf mehreren Clavichords (und einem Tastenklavier), manche Instrumente sind so leise, dass schon ein Huster die Stimmung zerstören kann. Was Gergelyfi diesen selten zu hörenden Instrumenten entlockt, ist einfach nur sensationell. Jedes Schubert-Lied klingt plötzlich komplett anders, wird von sanften, oder knochentrockenen, von zittrigen oder harten Klängen unterfüttert, ergänzt, transzendiert.
Intendant der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Franz Neumayr Beim Mozart-Programm kam auch ein Clavichord des Meisters selbst zum Einsatz, er hatte Teile der "Zauberflöte" darauf komponiert und wenn die Ouvertüre huschend-knisternd erklingt oder Nigl den Papageno gibt, versteht man plötzlich, was diese Musik für seinen Schöpfer war, wie er sie verstand. Glücklicherweise gibt es 2025 eine CD-Veröffentlichung. Die Nachtmusiken waren und sind wirklich das "Epizentrum des Besonderen", wie Markus Hinterhäuser gerne seine Festspiele nennt. Wozu heuer übrigens auch das Jugendprogramm zählte. So zeigten zum Beispiel Regisseurin Giulia Giammona und Dirigentin Anna Handler, was man aus Carl Orffs ziemlich biederer Kurzoper "Die Kluge" machen kann, wenn man es so blitzgescheit bearbeitet: ein, liebevolles, berührendes Stück, das ebenso Kinder verstehen wie (skeptische) Erwachsene goutieren können.
Sendung: "Allegro" am 16. August 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Sonntag, 18.August, 15:51 Uhr
Claudia Jahn
Hoffmanns Erzählungen
Genauso, wie es die Kritik beschrieben, habe jch es auch erlebt. Der Sänger Benjamin Bernheim sang hervorragend und stimmgewaltig gut den Hoffmann in "Hoffmanns Erzählungen" und auch Kathryn Lewek (Giulietta/Stella) in 4 verschiedenen Frauenrollen brillierte beeindruckend. Nur das ganze aussere Chaos konnte nichts aussagekräftiges dazu beitragen, den Sinn des Ganzen zu verstehen.
Sonntag, 18.August, 10:18 Uhr
Christa Siebert-Freund
Kritik: Hoffmanns Erzählungen
Ich habe die Aufführung auf ARTE gesehen.
Ich maße mir kein Urteil über die Inszenierung an. Ebensowenig, ob es aufgrund von "Grabenkämpfen" im Orchestergraben "geknirscht" hat, wie Herr Fuchs es gehört hat. ABER: dass das gesamte Gesangsensemble ausnahmslos sensationell gut war, das habe ich gehört und kann es auch beurteilen, weil ich vom Fach bin.
Und deswegen werde ich auch auf meine alten Tage nicht müde werden, mich darüber zu echauffieren, dass seit der Erfindung des "Musiktheaters" die Sänger :innen offenbar nur noch eine geduldete, untergeordnete Rolle zu spielen scheinen.
Nach dem Motto: die Sänger haben ja ganz schön gesungen, aber alles andere war eine Katastrophe.
Das ist nicht nur unangemessen sondern geradezu unverschämt!
Nochmal: ich habe in meinem ganzen Leben noch nie in einer Live-Aufführung ein derart großartiges Sängerensemble, von der größten bis zur kleinsten Partie gehört, und das hätte in der Kritik von Herrn Fuchs in großen Lettern am Anfang stehen müssen!
Samstag, 17.August, 21:50 Uhr
Gisela Sonnenburg
Hoffmanns Erzählungen
Bin auch Kritiker und sehe Vieles hier ganz anders. Die Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" in Salzburg ist brillant, durchdacht, pointiert und mitreißend.
Samstag, 17.August, 20:49 Uhr
Georg Gemeinböck
Hoffmanns Erzählungen
Das war die beste Oper - nach La Clemenza! Originell inszeniert und musikalisch toll.