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W.C. Handy zum 150. Geburtstag Der Vater des Blues

Man nannte ihn den "Father of the Blues". Der Schöpfer des "St. Louis Blues" und anderer unvergesslicher Melodien, die zum Grundrepertoire des Jazz gehören, verschaffte einer zuvor kaum bekannten Musik Respekt und Breitenwirkung. Und legte damit auch den Grundstein für weltweite Popmusik-Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Am 16. November jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal.

William Christopher „W. C.“ Handy, US-amerikanischer Blues-Komponist, Trompeter und Bandleader | Bildquelle: wikimedia

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Nein, er hat den Blues nicht erfunden. Doch in einem übertragenen Sinn war William Christopher Handy – oder W. C. Handy, wie ihn die meisten nannten - tatsächlich der Vater des Blues. Ohne ihn wäre der Blues lediglich Folklore der armen schwarzen Landbevölkerung geblieben. Mit ihm wurde er Teil des Mainstreams, nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa. Der Mega-Hit "St. Louis Blues", "Memphis Blues", "Beale Street Blues" und viele andere seiner Melodien verankerten sich als Werke eines Afroamerikaners im "Great American Song Book”. Mit ihnen trat der Blues in vollendeter Form ebenbürtig zu den Songs seiner weißen Zeitgenossen wie Irving Berlin oder Jerome Kern, wurde auch von Weißen interpretiert und brachte ein originär amerikanisches Element in eine noch stark europäisch geprägte Song-Landschaft.

Vater der weltweiten Popularmusik

William Christopher Handy ist der Wegbereiter blues-orientierter Komponisten - schwarzer wie Spencer Williams ("Basin Street Blues") und weißer wie Harold Arlen ("Blues In The Night"). Er legte mit seinen Kompositionen im frühen 20. Jahrhundert den Grundstock zur Blueswelle der 20er Jahre, die Sängerinnen wie Bessie Smith, Alberta Hunter und Ethel Waters und damit zugleich den Bluesthemen aus seiner Feder zu großer Popularität verhalfen. Damit könnte man ihn zum Vater der Popularmusik erklären, denn bis ins späte 20. Jahrhundert hinein waren Musikgenres wie Jazz, Rock’n’Roll, Rock, Soul und Country über den Blues miteinander verbunden.

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W.C. Handy "St. Louis Blues" On The Ed Sullivan Show | Bildquelle: The Ed Sullivan Show (via YouTube)

W.C. Handy "St. Louis Blues" On The Ed Sullivan Show

Kein Jazztrompeter – und Anfangs auch kein Freund des Jazz

Nein, Handy war kein Jazzmusiker. Das wurde behauptet, weil er eine Band leitete und gut Kornett (das Instrument der großen frühen Bandleader) spielte, auch weil seine Songs Jazzstandards wurden und weil er in seinen Kapellen so großartige Jazzmusiker wie den Kornettisten Johnny Dunn oder den Klarinettisten Buster Bailey beschäftigte. Die zwischen 1917 und 1923 entstandenen Platten von Handy's Orchestra Of Memphis und Handy’s Blues Band dokumentieren mit ihrer konservativen rhythmischen Auffassung und der sehr untergeordneten Rolle der Improvisation eher Vorformen des Jazz. Mit über dutzendköpfigen Besetzungen und (wie in "Ole Miss" zu hören) miteinander dialogisierenden Sektionen sind sie schon Vorläufer der späteren Big Bands. Trotz der Beliebtheit, die der Jazz seinen Songs verschaffte, war W. C. Handy anfangs kein Freund dieser neuen Musik. Einmal beschwerte er sich bei seiner Tante, dass viele Jazz-Bands Fehler machten, während seine perfekt spielten, woraufhin sie antwortete: "Aber sieh mal, die Weißen mögen es, wenn die Schwarzen Fehler machen." Was Handy so kommentierte: "Es kann gut sein, dass dies eines der Geheimnisse des Jazz ist...". Auch seine 1939 und 1940 mit Jazzmusikern entstandenen Aufnahmen zeigen klar Handys diesbezügliche Grenzen auf.

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W.C. Handy - Ole Miss Rag 1917 (original) | Bildquelle: genatzvale' (via YouTube)

W.C. Handy - Ole Miss Rag 1917 (original)

"Sündige" Musik – und ein entsetztes, geistlich geprägtes Elternhaus

Handy kam in Florence, Alabama als Sohn eines Pastors zur Welt. Dieser war entsetzt, als William eines Tages mit einer Gitarre anrückte und erklärte, er wolle lieber dem Leichenwagen seines Sohnes hinterhergehen als dass dieser Berufsmusiker würde. Immerhin erlaubte der Geistliche Orgelunterricht; daneben erlernte der Filius heimlich das Kornettspiel. Die Spannung zwischen der Sittenstrenge des Elternhauses und seine Neigung zur vermeintlich "vulgären" Musik des Volkes zieht sich wie ein roter Faden durch seine Autobiographie "Father of the Blues" von 1941 und war wohl die Triebfeder seines Schaffens.

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Bessie Smith - Yellowdog Blues | Bildquelle: caoamarelo (via YouTube)

Bessie Smith - Yellowdog Blues

Der Sammler von Alltags-Klängen aus dem Volk

Obwohl er Afroamerikaner war, hatte er einen so anders gearteten Hintergrund, dass er die work songs und Tanzmusik, die spontanen Schöpfungen der Straßenmusiker und sogenannten Songsters als eine faszinierende Gegenwelt erlebte; und doch war es die des eigenen Volkes. Es erging ihm wie dem ungarischen Komponisten Béla Bartók, als der die Bauernmusik seines Landes entdeckte: Man musste es aufschreiben und verarbeiten. Mit einem phänomenalen Gedächtnis ausgestattet, legte Handy sich bei seinen Streifzügen durch den Süden und mittleren Westen der USA auf die Lauer, sammelte Motive und Sätze. Der Gesang einer Hausfrau beim Wäscheaufhängen, die Rufe einer Fischbraterin, der Sermon eines Straßenpredigers, ein Bluesmusiker, der eine Messerklinge über die Saiten gleiten und sie dabei "weinen" ließ - er fügte sie wie Puzzlestücke zu Meisterwerken zusammen. Es ehrt ihn, dass er seine Quellen genau benannte.

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Jim Europe's 369th Infantry '' Hellfighters '' Band MEMPHIS BLUES | Bildquelle: sergiofu42 (via YouTube)

Jim Europe's 369th Infantry '' Hellfighters '' Band MEMPHIS BLUES

EINE SERIE UNSTERBLICHER BLUES-HITS

W. C. Handy hatte schon in Brass Bands und Gesangsgruppen, als Lehrer und Musiklehrer gearbeitet und war Bandleader und Kornettist von "Mahara’s Colored Minstrels" gewesen, als er 1909 den "Memphis Blues" schrieb, ursprünglich als "Mr. Crump" für die Wahlkampagne eines Bürgermeisters. Dass der "Memphis Blues" 1912, wie überall zu lesen ist, als erster Blues gedruckt wurde, ist zwar nicht ganz richtig, doch der erste folgenreiche war es allemal. Seinen ersten Hit, den "Memphis Blues", verkaufte Handy für einen Dumpingpreis. Darauf gründete er mit Harry Pace den ersten Blues-Verlag, der 1914 den Mega-Hit "St. Louis Blues" herausbrachte, den Song, der, wie er im Alter meinte, ihn und seine Familie ein halbes Jahrhundert lang ernährte. Die allermeisten seiner weiteren Erfolge stammen aus den 10er ("Yellow Dog Blues", "Beale Street Blues") und frühen 20er Jahren ("Loveless Love", "Aunt Hagar’s Blues").

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Art Tatum plays  Aunt Hagar's blues   (1949) | Bildquelle: gullivior (via YouTube)

Art Tatum plays Aunt Hagar's blues (1949)

DER BLINDE BLUES-PATRIARCH, DER MIT 80 NOCH HEIRATETE

Doch dann, noch mitten in der Blueswelle, scheint seine kreative Ader zu versiegen. Er schreibt vom 6. Lebensjahrzehnt an nur noch wenige Songs. In Zeiten, in denen Blues kein zu entdeckendes Neuland mehr, sondern eine Alltagserscheinung ist, scheint seine Mission erfüllt; er kann das Komponieren den Scharen von Jüngeren überlassen, die auf seinen Schultern stehen. Er kümmert sich hauptsächlich um die Belange des Verlags, schreibt fünf Bücher und ist in der Verwertungsgesellschaft ASCAP aktiv. Im Alter ist er ein hochangesehener Patriarch der afroamerikanischen Musik, wohlhabend durch eine Musikform geworden, die den Nöten der Armen und Bedrückten eine Stimme gab, doch immer wieder die heilende Fähigkeit erwies, seelische Not zu lindern, ja Glücksgefühle zu verbreiten. Verwitwet und erblindet, heiratet er noch mit 80 seine Sekretärin, die er als seine Augen bezeichnete, erleidet aber kurz darauf einen Schlaganfall, der ihn an den Rollstuhl fesselt. Am 25. März 1958 erliegt William Christopher Handy in New York einer Lungenentzündung.

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Beale Street Blues | Bildquelle: Jack Teagarden - Topic (via YouTube)

Beale Street Blues

ER BRACHTE DEN BLUES IN DIE CARNEGIE HALL

Die großen Ehrungen dieses Musikers begannen schon in einer Zeit, als schwarzen Mitbürgern selten welche zuteilwurden: 1928 durfte W. C. Handy ein Konzert in der Carnegie Hall gestalten, die damals nur der klassischen Musik vorbehalten war. Blues, Work Songs, Spirituals, Plantagengesänge und ja, auch ein bisschen Jazz, hielten Einzug in diesen heiligen Hallen – 10 Jahre bevor Benny Goodmans den Jazz dort salonfähig machte. Auch seine Tochter, die Sängerin Katherine Handy, und der Pianist Fats Waller wirkten mit. 1931 schon wurde in Memphis ein Park nach Handy benannt, in dem später ein Denkmal errichtet wurde.

Sendung: "KlassikPlus" am 17. November um 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK (Wdh.: 18.11., 14:05 Uhr)

VERFÄLSCHENDE FILM-BIOGRAPHIE – UND BESEELTE HULDIGUNGEN VON SATCHMO

In seinem Todesjahr feierte ihn Hollywood mit einem riesigen Star-Aufgebot in der sein Leben verfälschenden Film-Biographie "St. Louis Blues":  Darin erscheint er als Pianist und Sänger, und zwar allein deshalb, weil er von dem Pianisten und Sänger Nat King Cole gespielt wird. Die schönsten Denkmäler haben ihm aber seit je die Größen des Blues und Jazz mit runden Scheiben errichtet, allen voran Satchmo, Louis Armstrong. Der hat nicht nur allein den "St. Louis Blues" etwa fünfzig Mal aufgenommen, darunter 1925 in der definitiven Version mit Bessie Smith; er ließ 1954 auch sein ganzes Herzblut und Können in das Album "Louis Armstrong Plays W. C. Handy" fließen. Darauf sind Handys elf bekannteste Songs vereint. Wer W. C. Handys Geheimnis auf die Spur kommen will, kann hier beginnen.

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Louis Armstrong -  Louis Armstrong Plays W.C.  Handy ( Full Album ) | Bildquelle: All That Jazz Don Kaart (via YouTube)

Louis Armstrong - Louis Armstrong Plays W.C. Handy ( Full Album )

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