BR-KLASSIK

Inhalt

Baby Dodds, Chauncey Morehouse & Co Die Erfindung des Schlagzeugs

Das Schlagzeug war im Jazz schon immer wichtig. Doch auf den ersten Jazzplatten wurde nur in homöopathischer Dosierung getrommelt. Vor 100 Jahren ändert sich das – warum?

Gene Krupa (Schlagzeug) und Teddy Wilson (Piano) vom Benny Goodman Trio, 1937 | Bildquelle: BR/PHOENIX

Bildquelle: BR/PHOENIX

Ein Blick in die Jazzhistorie belegt: Schlagzeuger waren von Anfang an wichtige Persönlichkeiten im Jazz, die, die den "Laden zusammenhielten", nicht nur, weil sie allen in der Gruppe einen soliden Rhythmus vorgaben, sondern weil sie oft Organisationtalent besaßen.

Und noch etwas hielten sie zusammen. In ihrem "drum set" verschmolzen am offensichtlichsten zwei Traditionen: das afrikanische Erbe und die Spielpraxis der Blas- und Marschkapellen, aus denen sich die ersten Jazzbands rekrutierten. In der afrikanischen Musik und im Marsch werden viele Perkussionisten beschäftigt, doch "im Jazz ist der Trommler einsam", wie der am 23. August 2023 verstorbene Drummer Billy Brooks es auf den Punkt brachte. Mit seinem aus verschiedenen Instrumenten zusammengestellten Set ersetzt er eine ganze Trommlergruppe. Erst 1918 kamen komplette Schlagzeuge in den Handel: ein neues Instrument für neue Musik. Kein Wunder, dass das Schlagzeug im Mittelpunkt des Interesses stand.

Tony Sbarbaro, der erste Schlagzeuger auf Platte

Und doch: von vielen Schlagzeugern der Frühzeit gibt es keine oder nur wenige Tondokumente, etwa von Papa Jack Laine oder Johnny Stein aus deren Bands die Original Dixieland Jazz Band hervorging. Aber auch von denen, die man häufig aufnahm, gibt es wenig zu hören. Am meisten noch von Tony Sbarbaro, den Drummer dieser Gruppe, die 1917 die ersten Jazzplatten aufnahm. Man kann Becken, Holzblock, kleine und große Trommel heraushören, doch eigentliche Soli gibt es in seinem noch vom Ragtime geprägte Stil noch nicht. Am besten hört man ihn auf "Indiana" von 1917:

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Original Dixieland Jazz Band "Indiana" Columbia A2297 recorded May 31,1917 HISTORIC ODJB

Im Studio muss Baby Dodds leise im Hintergrund ticken

Zu den Herausforderungen des akustischen Aufnahmeverfahrens im frühen Jazz gehörte es, eine stimmige Balance der Instrumente herzustellen. Aber das geschah oft zum Leidwesen der Schlagzeuger. Sie waren schwer aufzunehmen. Daher hört man manchmal so gut wie nichts von ihnen, da sie zumeist leise spielen oder sich mit beschränktem Instrumentarium ohne Basstrommel zufriedengeben mussten, um die anderen nicht zu übertönen.

Das gilt bedauerlicherweise auch für Baby Dodds, dem einflussreichsten Drummer des frühen Jazz, dessen Geburtstag sich 2023 an Heiligabend zum 125. Mal jährt. Er war es, der vor 100 Jahren in King Oliver’s Creole Jazz Band an der Seite seines Bruders, des großen Klarinettisten Johnny Dodds und von Louis Armstrong zum Urbild des Jazzschlagzeugers wurde. Das von ihm damals verwendete Set wurde (abgesehen von der damals noch fehlenden High Hat) zum Standard. Zeitzeugen bewunderten seinen mächtigen Sound, doch meistens hört man ihn mit präzisem Holzblock oder gedämpften Beckenspiel. Am besten zur Geltung kommt er wohl in "I'm Going Away To Wear You Off My Mind" vom 5. April 1923.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

King Oliver's Creole Jazz Band - I'm Going Away To Wear You Off My Mind - Gennett 5134, Richmond, IN | Bildquelle: exponent_of_sock (via YouTube)

King Oliver's Creole Jazz Band - I'm Going Away To Wear You Off My Mind - Gennett 5134, Richmond, IN

Will man wissen, wie damals Schlagzeuger außerhalb des Aufnahmestudios klangen, muss man sich späte Aufnahmen von Baby Dodds anhören, der in den vierziger Jahren wohl als erster unbegleitete Schlagzeugsoli aufgenommen und seine Spielweise auf Platten und im Film für pädagogische Zwecke kommentiert hat.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

BABY DODDS (Full Film) -"NEW ORLEANS DRUMMING"

Das erste richtige Schlagzeugsolo, doch immer noch leise

Vor genau 100 Jahren rückte das Schlagzeug in einigen Aufnahmen endlich ins Rampenlicht. Bezeichnenderweise aber nicht mit lautem Powerplay. Das Stück "Land Of Cotton Blues", das "The Georgians" am 6. September 1923 aufnahmen, wird das erste dokumentierte Schlagzeugsolo vom Drummer Chauncey Morehouse 40 Sekunden lang mit dem Jazz-Besen auf einer Snare Drum gespielt, obwohl die damals in Aufnahmestudios eigentlich unerwünscht war.

Zuvor hatten Schlagzeuger nur kürzere Breaks gespielt, doch er ist für 24 Takte (wenn auch bisweilen von der Band unterbrochen) im Mittelpunkt. Es ist das erste längere Schlagzeugsolo auf Platte, und zugleich das erste mit Besen aufgenommene. Das macht Chauncey Morehouse zu einem der wichtigsten Drummer des frühen Jazz. Leider durfte er wie Dodds erst einige Jahre später auf einem vollständigen Schlagzeug aufnehmen.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Land of Cotton Blues - The Georgians | Bildquelle: Godfrey Daniels (via YouTube)

Land of Cotton Blues - The Georgians

12 Tage nach ihrer Aufnahmesession spielte am 18.September 1923 der Drummer Jack Roth bei den "Cotton Pickers" in "Walk, Jenny, Walk" auch ein bemerkenswertes Schlagzeugsolo, zuerst auf dem Holzblock, dann auf einem gedämpften Becken.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Cottonpickers, The - Walk Jenny Walk(1923) | Bildquelle: William Blackadder (via YouTube)

Cottonpickers, The - Walk Jenny Walk(1923)

Der Drummer – auch leise eine Show!

Wie sich die Schlagzeuger in den Roaring Twenties in Szene setzen konnten, selbst wenn sie dezent spielten, zeigt Vic Berton in einem frühen Tonfilm von 1928. Der hält nicht nur alles zusammen, er beherrscht das Bild und heimlich die Band.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Hot Jazzmen of the 20's - Vic Berton - Rare Talkie! | Bildquelle: 2reeler (via YouTube)

Hot Jazzmen of the 20's - Vic Berton - Rare Talkie!

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player